Mein Weg weg vom Jagen und Sammeln (Allgemein)

Simsala, Mittwoch, 04.11.2015, 17:19 (vor 3251 Tagen) @ Janna

Huhu [image]

Gerne berichte ich über meine Entwicklungen und auch Verwicklungen.
Es wird sicher viel zu lang, dafür entschuldige ich mich schon mal inständig [image]

Meine Situation war am schlimmsten, als ich keinen Platz mehr hatte
um neue Möbel zu kaufen, um die Dinge zu verstauen, die ich angesammelt hatte,
In unserer Wohnung gab es überall Regale bis unter die Decke,
vollgestopft mit ich hab keine Ahnung mehr mit was.
Auf allen Schränke und Regalen stapelte sich Kram bis unter die Decke.
Unser Kellerraum war knapp 30qm groß, der war randvoll mit: jedem Stück Teppichrest,
welches wir jemals verlegt haben, ebenso jeder Tapetenrestrolle, Hifigeräte (eine Sammlung,
die einem Lager von Mediamarkt konkurrenz hätte machen können) und was weiß ich noch alles.

Es war erdrückend, es war aber auch beschützend,
Meine schöne Ansammlung von Büchern gab mir z.B. das Gefühl,
sehr belesen zu sein - natürlich kam ich nicht dazu, all die Bücher zu lesen.

Dann sind wir umgezogen. Das war im August 2003.
Ich war zum ersten Mal schwanger und die neue Wohnnung war größer und hatte ein schönes Kinderzimmer.
Es war ein Monsterumzug.
Der ganze Kram musste verpackt werden, so viel Zeugs.
Alleine für den Kellerkram haben wir einen kompletten Umzugslaster voll beladen.
Der einzige Vorteil war, dass ich in meinem Leben noch nie einen Pappkarton weggeworfen habe
und deshalb wirklich reichlich davon hatte für den Umzug.

Leider wurde der fröhliche Einzug vom Tod meines Kindes überschattet.
Nach 2/3 der Schwangerschaft kam mein Sohn tot zur Welt.
Wir hausten hier mehr oder weniger wie Zombies und alles rückte irgendwie in den Hintergrund.
Im Jahr darauf - ich kam gerade wieder halbwegs ins Leben zurück,
wurde ich wieder schwanger und auch dieses Kind kam nach 2/3 der Schwangerschaft tot zur Welt.

Das war und ist bis heute der Tiefpunkt, an dem unser Leben komplett - entschuldigt bitte den Ausdruck -
im Arsch war. Harte Zeit. Wirklich sehr schwer.

Nun denn, es hat ein wenig gedauert - ich war hier im Forum tätig und las viel über das Messie-Dasein,
die Hintergründe und all das. Guter Trick zum Aufschieben: Mehr Wissen ansammeln, als zum Handeln nötig ist ^^

Mein Ent-Sammeln begann in der Küche.
Ich stand vor einem Schrank in dem mind. 40 Bechertassen standen.
Wir hatten zu Beginn unserer Beziehung die Angewohnheit, uns gegenseitig solche Tassen zu schenken.
Jetzt mal ernsthaft: wir waren ein zwei-Personen-Haushalt.
Ich kenne nichtmal 40 Leute, und von denen die ich kenne würde ich vielleicht 6 Leuten einen Kaffee anbieten.
Also was sollte das?
Ich nahm einen Müllbeutel und pfefferte genüßlich alle rein, die nicht mehr schön waren und behielt vielleicht 5 Stück.
Die restlichen 5 waren schön, es machte Spaß sie in meinem Schrank stehen zu sehen. Es machte mir auch Spaß
mich um diese 5 zu kümmern und ich war sehr erleichtert, mich um die anderen nicht mehr kümmern zu müssen.
So entrümpelte ich die komplette Küche. Das fiel mir leicht - auf einmal hatte ich den Blick für Dinge, die nutzlos
und belastend waren.

Ich habe oft gelesen: Wundern sie sich nicht, wenn ihr Umfeld sie mit allen Mitteln davon abhalten will,
sich zu befreien und der Veränderung eher störend im Wege steht.
Oft habe ich mich gefragt: Wieso sollte mich jemand dran hindern, wenn ich auf dem Weg der Besserung bin?
Mein Mann zog nicht mit. Mein Mann bekam Panik, fragte mich bei jedem Teil: Bist Du sicher? Warum werfen wir das denn weg?
Es war genau so, wie ich es gelesen hatte und ich konnte es nicht fassen. Was ging denn hier ab?

Tatsache war: Ich hatte meinen Weg irgendwann im Kopf begonnen - bis zu dem Moment, an dem ich die erste Handlung vollzog.
Auf diesem Weg hatte ich meinen Mann nicht mitgenommen. Er stand noch ganz am Anfang.
Unsere Sammlung von Zeugs war ja nicht in drei Tagen entstanden.
Das war ein Lebenswerk, eine Geschichte in Kram und Kisten erzählt.
Er hatte Angst, weil ich (für ihn) von jetzt auf gleich alles niederriss.
Oft fragte er mich, ob ich ihn verlassen will, nach dem Motto: Ich schmeiß alles weg und am Ende Dich gleich mit.

Was mir sehr sehr schwer gefallen ist war mein Kleiderschrank.
All die hübschen Sachen, die mir zu klein waren, waren Zeitzeugen einer tollen Figur.
Nun sah ich aus wie die Zwillingsschwester vom Michelinmännchen.
Ich hab so viel geweint, dass ich beinahe einen Wasserschaden hätte anmelden können.
Aber ich hab mich trotzdem von allem getrennt, was ich nicht mehr anziehen konnte oder wollte.

Irgendwann spürte ich, dass ich auf der körperlich-weltlichen Ebene prima loslassen konte,
was in meiner psychisch-gedanklichen Welt so überhaupt nicht funktionerte und auch bis heute mein größtes Messie-
Problem ist. Wenn ich nur meinen Geist so entrümpeln könnte wie meine Wohnung.

Nun denn... Zimmer für Zimmer wurde nach und nach bereinigt.
Das, was mir früher mein Hab und Gut gab, der Schutz und das vordergründige, wohlige Gefühl -
das ist mittlerweile ersetzt durch das befreiende Gefühlt, dass ich empfinde, wenn ich Platz sehe und habe.
Platz ist der größte Luxus für mich. Von A nach B zu gehen ohne um etwas herumlaufen zu müssen oder seitwärts zu gehen.
Und auch dieser Platz bietet mir den 2. Luxus, meine Wohnung so zu gestalten, wie sie für uns beide passend ist.
Wir haben z.B. kein Wohnzimmer - wir haben ein großes Arbeitszimmer mit RiesenTV. Ein kleines Sofa hat nur mein Kater ^^

Da wir ein Katzenhaushalt sind und die Katze ja bekanntlich immer auf der falschen Seite der Tür steht,
haben wir kurzerhand alle Türen ausgehangen, bis auf die vom Bad und Hases Schlafzimmer (es sind die einzigen beiden Türen, die wir nutzen).
Alle anderen Durchgänge haben wir mit weißen Vorhängen "verschlossen".
Hört sich merkwürdig an, aber unsere Türen standen eh immer offen.
Mein Flur sieht jetzt aus wie eine Traumwelt. 8 Meter lang und wehende weiße Vorhänge überall.

Hase und ich sind aktuell auf dem gleichen Stand. Wir schaffen nicht mehr alles mögliche an, um uns dahinter zu verstecken.
Wir fühlen uns befreit und nicht verängstigt, wenn wir etwas entsorgen.
Sicher haben wir beide das eine oder andere Dingens, was kein Mensch braucht und von dem wir uns nicht trennen möchten.
Aber ein wenig ist ok.

Wenn ich doch nur meinen Kopf so aufräumen könnte.
Loslassen können, das Leben der Situation anpassen und das Gute darin sehen.
Und das für länger als ein oder zwei Tage am Stück.

So püh, jetzt bin ich leergeschrieben.
Danke fürs Nachfragen, die Antwort zu schreiben öffnet mir ganz drastisch die Augen für
das Brachland in meinem Leben.

Knuddelgruß
Simsala


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