Re: 3sat 22.25 Uhr: Messies - Ein schönes Chaos (Allgemein)

Rumpel, Dienstag, 20.06.2017, 23:43 (vor 2524 Tagen) @ Paladin

Also die üblichen trivialen Klischees

Ich verstehe nicht, wie du darauf kommst, selbst wenn du nicht den Links gefolgt bist, sondern nur den von mir kopierten Text gelesen hast. Das ist keiner der unsäglichen Müllsendungen aus dem Privatfernsehen, wo "scripted reality" den gefilmten Personen vorschreibt, wie sie sich zu verhalten haben.
Ich dachte ich hätte ihn schon gesehen, werde ihn mir aber bei Gelegenheit nochmal anschauen.

http://www.messies.ch/der-film/

Es ist aber das Interesse für seine Protagonisten, ihr Erleben, ihre Kreativität, ihre Verdrängungsstrategien und ihre Erklärung des eigenen Tuns, das ihn leitet. Hinter Verschrobenheiten zeigen sich komplexe Charaktere. Sie präsentieren sich nicht vornehmlich als Kranke, sondern als Menschen mit einem überschäumendem Interesse für alles. Sie konfrontieren uns mit Fragen: Was ist normal, was ist krankhaft? Grossenbachers Respekt für seine «Messies», sein Sinn für Dramaturgie und seine visuelle Poesie führen zu Szenen voller Situationskomik und Skurrilität, ohne dass unser Lachen auf Kosten der Protagonisten geht.

http://www.messies.ch/hintergrund/
Gegenstrategie zur Konsum- und Wegwerfgesellschaft?

Was hat denn dazu geführt, dass „Messietum“, das Abweichen von gängigem Ordnungsverhalten, plötzlich nicht nur als Entgleisung, sondern als Krankheit betrachtet werden soll? – Nicht zuletzt die Tatsache, dass manche „Messies“ grosse gesellschaftliche Anerkennung als Künstler genießen, müsste ja doch darauf hindeuten, dass die Verhaltensweise es verdient, nicht einfach als abartig problematisiert zu werden. Zudem gehören das Sammeln und Horten, beispielsweise von Nahrung für Notzeiten oder von Geld, ja eigentlich zu den sinnvollen, urtümlichen Überlebensstrategien. Bis vor nicht allzu langer Zeit herrschte in den meisten Schichten materieller Mangel, und nur eine Minderheit verfügte überhaupt über die Mittel, um aus einer Vielfalt von Gütern auswählen und solche sammeln zu können.14 Die Hochkonjunktur der 1950er Jahre führte zu einem sorgloseren Umgang mit Dingen, und es kam zur Überfluss- und Wegwerfgesellschaft, nicht zuletzt ablesbar an der Zunahme der Abfallmenge. Zugleich wurden „normale“ Gebrauchsobjekte durch die Werbung mit Bedeutungen und Emotionen aufgeladen. Auch erhielten Freizeit und Konsum gegenüber der Arbeit viel grösseres Gewicht. Heute gibt es im Alltag viel mehr Handlungsmöglichkeiten, als überhaupt realisierbar sind, so dass der Einzelne ständig unter Druck ist auszuwählen und zu ordnen. Der Wandel zur Wegwerfgesellschaft hat zudem zu einem allgemeinen kulturellen Orientierungsproblem geführt, da Konsumgüter keine Kontinuität mehr symbolisieren und somit die Stabilisierung und Tradierung kultureller Ordnungen verloren geht.15

Opfer von Überfluss und Ordnungsidealen

Darum wohl gibt es heute neben den gesellschaftlich respektierten, als Sonderlinge in kreativem Chaos lebenden Künstlern und Erfindern auch die weniger genehmen „Messies“: Angeregt von den Möglichkeiten der Überflussgesellschaft hamstern sie von der Werbung aufgewertete Wegwerfobjekte und noch vieles andere. Dazu kommt, dass sie einer Idee des sorgsamen Umgangs und Bewahrens nachhängen, die unsere Gesellschaft wohl aus der Zeit des Mangels hinübergerettet hat. Dabei messen sie sich an den gängigen Normen von Ordnung und Sauberkeit und geraten in einen inneren Konflikt. Diese widersprüchliche Situation überfordert sie. Und so kämpfen die „Messies“ in einer Gesellschaft, die Unordentlichkeit und Chaos als Charakterschwäche oder gar als Krankheit aburteilt, gegen ihre Materialberge an und horten gleichzeitig unaufhörlich weiter.


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