Lebenszeichen (Allgemein)

Florian, Mittwoch, 17.09.2008, 21:13 (vor 5723 Tagen)

Hallo ihr Lieben!

Vielen Dank für eure sorgenvollen Beiträge. Es gibt mich noch, aber in letzte Zeit fiel es mir immer schwerer, mein wöchentliches Lebenszeichen von mir zu geben. Zweifellos ist das ein Zeichen von Depression.

Die häusliche Ordnung und Sauberkeit habe ich aber trotzdem einigermaßen bewahrt. In dem Wort "einigermaßen" liegt eine Einschränkung; sie bezieht sich hauptsächlich darauf, daß ich manche Dinge seltener erledige, aber immerhin doch noch.

@Sabine
Es gibt einen schizoiden Hintergrund. Er ist bei mir so extrem ausgeprägt, daß mein Zustand zwar nicht genau dem Asperger-Autismus entspricht, aber einem "Autismus" im wortwörtlichen Sinne: Vollkommene Isolation vom Rest der Menschheit. Einzige Ausnahme, abgesehen von meinem Vater, ist (noch) der Arbeitsplatz. Ich bin schon seit 15 Jahren im Internet. In den ersten Jahren war ich hauptsächlich im Autismus-Bereich aktiv und hatte weltweite virtuelle Kontakte. Ich begegnete dabei vielen Menschen mit Autismus, die bei genauem Hinsehen weniger "autistisch" (d.h. isoliert) waren als ich. Irgendwann haben mich die Kontakte erschöpft. Ich besitze ca. 120 Bücher zum Thema Autismus, so daß ich recht gut informiert bin.

Jede Mutter stirbt irgendwann, damit müssen wir alle leben. Aber in meinem Fall spüre ich drei zusätzliche Mühlsteine um den Hals, die mich zu Boden drücken wollen. Ansprechen möchte ich aber nur einen davon, und den habe ich in einem früheren Beitrag schon erwähnt. Wie - und zu welchem Zweck? - soll ich die nächsten Jahre überstehen, wenn mein Vater auch noch stirbt? "Wer wird meine Hand halten, wenn ich sterbe?", fragte ich neulich rhetorisch. Aber in Wirklichkeit geht es natürlich nicht so sehr um den Endpunkt, sondern um die ganze Zeit bis dahin. So gibt es bei mir nicht nur die normale Trauer, sondern auch noch ein Gefühl, das nicht unbedingt zur Trauer gehört: Angst

Leider liegt es in der Natur der Sache, daß es für die Schizoide Persönlichkeitsstörung fast keine Lösung gibt. Einerseits sehe ich glasklar, daß es nicht gut ist, immer alleine zu sein. (Längst nicht alle Schizoiden sehen das überhaupt.) Andererseits kann ich aber die Gesellschaft von Menschen nur schwer ertragen. Wer mich nur kurz kennenlernt, wird davon wahrscheinlich nichts merken, wenn ich nicht gerade einen besonders schlechten Tag habe. Ich wirke freundlich und umgänglich - bin ich ja auch. Aber ich beende jedes Gespräch so schnell wie möglich, weil es mich langweilt und erschöpft. - Gutgemeinte Ratschläge, ich sollte hier oder dort hingehen, sind gut gemeint, aber ich werde es nicht tun. Wenn es zu vermeiden ist, gehe ich nie irgendwohin, wo ich in "Gesellschaft" wäre. Es gibt also keine erkennbare Lösung.

Trotz allem darf ich natürlich nicht in den alten Schlendrian zurückfallen. Ordnung und Sauberkeit müssen bewahrt werden, und das werden sie auch!

Viele Grüße
Florian

Re: Lebenszeichen

Mila, Mittwoch, 17.09.2008, 23:15 (vor 5722 Tagen) @ Florian

Hallo Florian,

danke für dein Lebenszeichen.
Mir ist es jetzt zu spät, um ausführlich zu antworten.
Würde gern morgen was zu deinem post schreiben.

Gute Nacht
Mila

Re: Lebenszeichen

Sabine, Mittwoch, 17.09.2008, 23:46 (vor 5722 Tagen) @ Florian

Hallo Florian,

ich freue mich, wieder von Dir zu lesen. [image]

Vielen Dank für eure sorgenvollen Beiträge. Es gibt mich noch, aber in letzte Zeit fiel es mir immer schwerer, mein wöchentliches Lebenszeichen von mir zu geben. Zweifellos ist das ein Zeichen von Depression.
Die häusliche Ordnung und Sauberkeit habe ich aber trotzdem einigermaßen bewahrt. In dem Wort "einigermaßen" liegt eine Einschränkung; sie bezieht sich hauptsächlich darauf, daß ich manche Dinge seltener erledige, aber immerhin doch noch.

Das ist in Deiner Situation normal. Immerhin schaffst Du es trotzdem, die wichtigsten Dinge zur Erhaltung von Ordnung und Sauberkeit zu erledigen. Darauf kannst Du stolz sein, viele andere würden das in der Situation nicht mehr schaffen.

@Sabine
Es gibt einen schizoiden Hintergrund. Er ist bei mir so extrem ausgeprägt, daß mein Zustand zwar nicht genau dem Asperger-Autismus entspricht, aber einem "Autismus" im wortwörtlichen Sinne: Vollkommene Isolation vom Rest der Menschheit. Einzige Ausnahme, abgesehen von meinem Vater, ist (noch) der Arbeitsplatz. Ich bin schon seit 15 Jahren im Internet.

Immerhin hast Du doch einige wenige Kontakte. Das beruhigt mich, das zu lesen.
Ich habe den Link gelesen. Das hört sich ziemlich kompliziert an. Als Laie weiß ich nicht, was ich dazu sagen kann oder soll.

Ich besitze ca. 120 Bücher zum Thema Autismus, so daß ich recht gut informiert bin.

Oh, da war mein Link wohl wie Eulen nach Athen tragen.

Jede Mutter stirbt irgendwann, damit müssen wir alle leben. Aber in meinem Fall spüre ich drei zusätzliche Mühlsteine um den Hals, die mich zu Boden drücken wollen. Ansprechen möchte ich aber nur einen davon, und den habe ich in einem früheren Beitrag schon erwähnt. Wie - und zu welchem Zweck? - soll ich die nächsten Jahre überstehen, wenn mein Vater auch noch stirbt? "Wer wird meine Hand halten, wenn ich sterbe?", fragte ich neulich rhetorisch. Aber in Wirklichkeit geht es natürlich nicht so sehr um den Endpunkt, sondern um die ganze Zeit bis dahin. So gibt es bei mir nicht nur die normale Trauer, sondern auch noch ein Gefühl, das nicht unbedingt zur Trauer gehört: Angst

O ja, die Angst. Der Aspekt spielt auch bei Nicht-Autisten eine Rolle bei der Trauer. Aber bei Dir kommt erschwerend hinzu, dass Du fast gar keine Möglichkeit hast, Dir neue Kontakte aufzubauen und Dir Hilfe zu holen. Ich weiss leider nicht, was ich dazu sagen soll, mir fallen keine passenden tröstenden Worte ein.

Leider liegt es in der Natur der Sache, daß es für die Schizoide Persönlichkeitsstörung fast keine Lösung gibt. Einerseits sehe ich glasklar, daß es nicht gut ist, immer alleine zu sein. (Längst nicht alle Schizoiden sehen das überhaupt.) Andererseits kann ich aber die Gesellschaft von Menschen nur schwer ertragen.

Das stelle ich mir unvorstellbar traurig vor. Ich schicke Dir ein paar gute Gedanken und wünsche Dir, dass Du einen Weg findest, Deinen eigenen Weg, wie Du trotz alledem glücklich leben kannst.

Wer mich nur kurz kennenlernt, wird davon wahrscheinlich nichts merken, wenn ich nicht gerade einen besonders schlechten Tag habe. Ich wirke freundlich und umgänglich - bin ich ja auch.

Genau, wenn Du es nicht selbst erzählt hättest, wäre ich niemals darauf gekommen. Hier im Forum kenne ich Dich als sehr nett und freundlich.

Aber ich beende jedes Gespräch so schnell wie möglich, weil es mich langweilt und erschöpft. - Gutgemeinte Ratschläge, ich sollte hier oder dort hingehen, sind gut gemeint, aber ich werde es nicht tun. Wenn es zu vermeiden ist, gehe ich nie irgendwohin, wo ich in "Gesellschaft" wäre. Es gibt also keine erkennbare Lösung.

Es ist Deine Entscheidung, was Du mit den Ratschlägen machst. Denn wir MM's kennen Deine Situation nicht gut genug. Und jeder Mensch und jede Situation ist anders. Ich gebe Tipps auch nur mit der Absicht, um Möglichkeiten zu zeigen, die mir gerade einfallen. Ob diese Tipps wirklich passen, kann ich ja gar nicht wissen.

Vielleicht gibt es ja eines Tages den großen medezinischen Durchbruch und jemand erfindet den Schlüssel für Autisten und Schizoide, um aus der Isolation rauszukommen in Richtung zu einem Kontakt suchen nach Mass. Ich meine damit ein für die Betroffenen genau richtiges Mittelmaß zwischen Kontakte und Zurückziehen.

Trotz allem darf ich natürlich nicht in den alten Schlendrian zurückfallen. Ordnung und Sauberkeit müssen bewahrt werden, und das werden sie auch!

Das klingt doch schon sehr hoffnungsvoll und positiv.

Ich werde weiter in Gedanken bei Dir sein, so dass Du mit Deiner Trauer und Deiner Angst nicht alleine bist.

Grüße, [image]
Sabine

Re: Lebenszeichen // @Florian: Liebe Grüße!

Chaosinela, Donnerstag, 18.09.2008, 11:02 (vor 5722 Tagen) @ Florian

[image]

Hallo Florian,

ich habe mich darüber sehr gefreut, daß du dich gemeldet hast.

Ich bin aber sehr traurig, daß es dir so schlecht geht. Wenn man von den Depressionen
gefangen wird, sieht man ALLES ganz SCHWARZ und OHNE Hoffnung ... Damit habe ich auch
schon meine Erfahrungen gemacht.

Dann helfen ALLE "gut-gemeinte" Ratschläge sehr wenig!

Ich möchte dir so GERN irgendwie helfen - weiß aber leider nicht WIE ... ???

Ich möchte dir noch meine aufrichtige Bewunderung aussprechen, daß du in so für dich
schweren Zeit - deine hart-erkämpfte ORDNUNG halten kannst. Das ist wirklich eine
GROßE Leistung!

Ich wünsche dir vom ganzen Herzen, daß du deine Depressionen genauso besiegen kannst, wie
du das mit deinem "Mess-Eigentum" auch getan hast. Du kannst wirklich STOLZ auf DICH sein!

Ich wünsche dir nur das GUTE und viel KRAFT für die nächsten Tage, Wochen und Monate.
Sei stark! Du bist ein WERTVOLLER MENSCH !
==============================================================

Liebe Grüße
von

Chaossinella[image]

Re: Lebenszeichen

Schlumpfine, Donnerstag, 18.09.2008, 12:18 (vor 5722 Tagen) @ Florian

Lieber Florian,

danke für dein Lebenszeichen. Der Tod eines Elternteils ist eine schlimme Belastung und du hast mien volles Mitgefühl. Meine verwitwete Tante kann das Geschwätz ihrer nichtbetroffenen Mitmenschen auch kaum ertragen, wenn sie die Welt wieder einmal grau in grau sieht, sagt sie. Ihr tun im Gegensatz dazu einsame Waldspaziergänge gut - je abgelegener und stiller, desto wohltuender für sie. Kannst du dir vorstellen, das einmal auszuprobieren? Ich bin von mienem Naturell her völlig anders veranlagt und kann mich nur schwer in den Wunsch nach Einsamkeit meiner Tante einfühlen, spüre aber beim Lesen deiner Beiträge eine verwandte Saite schwingen. Das hat mich ermutigt, dir mitzuteilen, was sie sich Gutes tut.

Ich wünsche dir von Herzen, lieber Florian, dass du es schaffst, dir dein Leben auch ohne deine Mutter und im Bewusstsein, dass keiner von uns - auch dein Vater nicht - endlos in diesem Leben verweilt, genauso einzurichten, dass du dich darin wohlfühlen und es genießen kannst. Ob du dir in diesem Wohlfühlbereich ähnliche oder ganz andere Bedürfnisse als die meisten deienr Mitmenschen lustvoll erfüllst, finde ich dabei vollkommen zweitrangig, solange niemand zu Schaden kommt.

Ich finde nicht, dass irgendwer das Recht hat, über die Vorliebe meiner Tante für Abgeschiedenheit und Ruhe in der Natur zu urteilen oder sie deshalb abzuwerten. Etwas anderes wäre es, wenn sie Erfüllung darin fände, Scheunen und Ställe anzuzünden oder Tiere und kleine Kinder zu quälen. Da sie nichts dergleichen tut und einfach nur ihre Ruhe haben will, finde ich dass das ihr gutes Recht ist und bestärke sie gerne darin, wenn sie - was ab und zu vorkommt - Lust hat, mit mir zu telefonieren.

Meine besten Wünsche begleiten dich durch dein finsteres Tal der Trauer und des Schmerzes. Ich weiß seit dem Tod meines Sohnes, wie kalt und finster es dort ist. Und ich versichere, dass es vorübergehen wird. Nicht heute und nicht morgen, aber umso eher, je bereitwilliger du dich dem Schmerz hingibst. es gibt daraus leider keine Abkürzungen und auch keine echten Begleiter. In dieser Hölle ist jeder von uns alleine - das hat mit Asperger o.ä. gar nichts zu tun, da reagierst du derzeit sehr ähnlich wie der Rest der Menschheit.

glg Schlumpfine

Re: Lebenszeichen

Mila, Donnerstag, 18.09.2008, 17:43 (vor 5722 Tagen) @ Mila

Hallo Florian,

ich kann gut verstehen, dass neben Trauer auch Angst aufkommt.
Besonders beim Tod eines Elternteiles.
Die Mutter ist im Normalfall eine so vertraute Person.
Man kann sich nicht mehr anlehnen im übertragenen Sinne.
Da ist einfach nichts mehr.
Egal, wie alt man ist, man ist für Eltern immer ein Kind, kann sich als Kind fühlen.
Ohne Eltern fühlt man sich als Waise.

Man denkt an sein eigenes Ableben nach einem Verlust.
An die Endlichkeit des Erdendaseins.
Vieles kommt hoch, was man im Alltag erfolgreich verdrängt.

Ich denk häufig an den Tod, denke, vorher muss ich unbedingt noch klar Schiff hier machen. :-(

----

Über Autismus hast du schon mehrfach Andeutungen gemacht.
Wir haben ein paar Mal Zeilen dazu gewechselt, weil mich das Thema anspricht.

Ich halte mich nicht für jemand mit autistischen Zügen u. gehe davon aus, keine Persönlichkeitsstörung mein Eigen zu nennen, aber bin schon über Einiges ins Grübeln gekommen.

Als ich damals diesen Film über den autistischen Jungen im TV sah, der erst lernen musste mit anderen an einem Tisch zum Essen zu sitzen, wie erklärt wurde, dass auf ihn in der Situation zu viele Reize strömen, die er nicht aushalten kann, habe ich mich wiedererkannt.

Diese Situationen kenne ich, die mir unangenehm sind, die mich anstrengen, ohne erkennbaren Grund.

Nähe kann ich nicht gut vertragen.
Ins Kino gehe ich schon lang nicht mehr.
Bei Veranstaltungen versuche ich mich so zu setzen, dass ich um mich rum genug Freiraum habe u. schnell verschwinden kann.
Besuche sind mir unangenehm. Dies nicht wegen des Mess, denn in Räumen, die der Besuch sehen könnte, ist es annähernd ok.

Als Kind bekam ich Wutanfälle, schmiss mich auf den Boden, wenn mich Besuch überforderte.
Wenn von mir erwartet wurde, mich um meinen Besuch zu kümmern, mich zu widmen.
Meine Eltern fanden mich zu bockig.
Ich fühlte mich komplett unverstanden.

Ich kann nicht gut zuhören, wenn mich etwas nicht besonders interessiert.
Zu längeren Telefonaten bin ich kaum noch in der Lage, weil ich anschließend sehr erschöpft bin.
Von meinen Gesprächspartnern wird das nicht verstanden. Keiner kann das nachvollziehen.
Mehrere Freundschaften habe ich abgebrochen, weil ich mich überrannt fühlte, weil mir alles zu viel wurde.

Mails u. Briefe hingegen würde ich stundenlang schreiben können.
Nähe, die sich dadurch aufbaut, ist mir nicht unangenehm.
Hier habe ich es unter Kontrolle, niemand wirklich an mich ranlassen zu müssen.

Bei Veranstaltungen bin ich froh, wenn sie vorbei sind, obwohl jeder, der mich sieht, annehmen könnte, ich würde mich amüsieren.

Zwischendurch dachte ich an eine Form der Sozialphobie.
Ich weiß es nicht, was es ist, aber versuche zu lernen, mich so anzunehmen, wie ich bin u. mit den Ansprüchen der Außenwelt klar zu kommen, sie aber auch teilweise zurückzuweisen, um meiner Art gerecht zu werden.

Hab es jetzt so runtergeschrieben, ohne groß zu formulieren.

LG
Mila

Re: @Mila

Silvia, Donnerstag, 18.09.2008, 18:04 (vor 5722 Tagen) @ Mila

Liebe Mila,

vielleicht wäre der Link zu den "hochempfindlich" Seiten auch was für dich?

Grüße

Silvia

Re: Lebenszeichen

Andrea, Freitag, 19.09.2008, 00:41 (vor 5721 Tagen) @ Mila

Ich denk häufig an den Tod, denke, vorher muss ich unbedingt noch klar Schiff hier machen. :-(

Dieser Zusammenhang wird auch in einem Lied ausgedrückt.
Ich übersetze den betreffenden Teil hier:

„Ich hatte eine Frau, unten in Alabama,
Sie war eine Hinterwälderin, aber sicher war sie realistisch,
Sie sagte, Junge, ohne Zweifel, Du mußt mit Deinem Chaos aufhören und aufräumen,
Du könntest hier unten sterben und nur noch eine weitere Zahl in der Unfallstatistik sein.“

http://www.bobdylan.com/songs/slow-train

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