Ich ersticke im Müll meines Sohnes (Angehörige)

Anna, Montag, 22.08.2005, 13:17 (vor 6828 Tagen)

Ich bin sehr stolz auf meinen Sohn und liebe ihn sehr.
Er ist fast 19 Jahre alt, groß, schlank und bei allen beliebt.
Er hat viele nette Freunde, die oft bei uns zu Besuch sind und unternimmt auch viel mit ihnen. Festivals u.s.w
Er hat eine tolle Berufsausbildung, die ihm Freude macht.

Unser Verhältnis zueinander (miteinander) ist sehr herzlich und wir sprechen auch über sehr private Dinge. Wir vertauen uns.Uns sollte es also bestens gehen.

Wenn da nicht ein Problem wäreIch ersticke im Müll meines Sohnes.
Er hatte schon immer Schwierigkeiten beim Aufräumen. Naja, ich helfe gern, denn ich hab es gerne gemütlich. Ich bin zwar niemand, der immer alles pickobello hat (gemütlich heißt für mich nicht steril)aber wenn die Maden und Obstfliegen aus seinem Zimmer kriechen, krieg ich die Krise!

Er selber ist sehr adrett gekleidet, duscht jeden Tag u.s.w... Wie kann er sich in so einem Zimmer wohl fühlen? (naja, ich denke nicht wirklich, das er sich da wohl fühlt)
Früher habe ich oft aufräum aktionen gestartet. Das das nichts bringt, habe ich inzwischen eingesehen. Er freut sich sehr, nimmt sich vor das Zimmer jetzt immer so zu machen, aber schafft es nie.
Auch Teilhilfe nimmt er nicht an.
z.B. das Zimmer ist durch meine Aufräumaktion in Ordnung und ich frag zwei Tage später.. Du ich will grad waschen, hast Du noch was, was ich mit in die Maschine schmeißen kann, sie ist noch nicht voll? Darauf kommt immer: moment, ich guck gleich... aber das tut er nicht.
Jeden Tag frage ich nach der Brotdose, die ich ihm mit zur Arbeit gebe... ich bekomme sie nie zurück. (Inzwischen schmiere ich ihm keine Brote mehr. Er ist alt genug das selber zu tun und ich hab ja keine Dosen mehr.)
Vor einem halben Jahr sind wir umgezogen. Ich habe ihm so schöne Möbel zu Weihnachten geschenkt. Alles gothik mäßig, so wie er es mag. Er hat sich sehr gefreut und sich schon ausgemalt, wie er den Raum noch schmückt und wie seine Freunde gucken werden.
Nach einer Woche konnte er sie nicht mehr in sein Zimmer lassen. Hilfe von mir lehnt er ab. Er sagt ich setze ihn zu sehr unter Druck.Er sei erwachsen, das sei sein Zimmer und er wolle da seine Ruhe.
OK, kann ich verstehen und habe mich daran gehalten.
ABER ... ich halte es nicht mehr aus. Mich macht der Dreck fertig! Nicht nur, das die Tür kaum noch zu geht und ein schlimmer Gestank aus dem Zimmer kommt. Meine Brotdosen sind bis auf eine auch fast alle in seinem Zimmer verschwunden. Wahrscheinlich schon unbrauchbar mit verschimmelten Restbroten. Ich hab nur noch ein Schälmesser und mein ganzes Werkzeug ist auch weg. (Wahrscheinlich wollte er etwas festschrauben und dann hat er das Werkzeug dort liegen lassen, jedenfalls findet er es nicht mehr)
Vor drei Wochen hatten wir deswegen einen heftigen Streit. Ich weinte und sagte, das ich das nicht mehr aushalte.(ich war für zwei tage verreißt, brachte Besuch mit, von dem er wußte, und die ganze schöne Wohnung sah so aus! Man war mir das peinlich!) Bei diesem Streit sagte er, wenn ich ihn in Ruhe lasse, dann würde er ganz von allein aufräumen.Also verabredeten wir, das wir das Thema Zimmer nicht mehr erwähnen. Drei Wochen lang. Die drei Wochen sind übermorgen um. Es ist nichts passiert. Er hat seit zwei Tagen Kreislaufprobleme und mit dem Magen. Ich hab Angst, das das von dem schimmelpilzen kommt, die in seinem Zimmer sind. Aber ich sage nichts.
Was soll ich bloß übermorgen machen? Ich liebe ihn, möchte mich nicht von ihm trennen. Aber so kann es nicht weiter gehen. Es macht uns kaputt.
Sorry, wegen dem vielen Text, aber es hat gut getan sich das mal von der seele zu schreiben.
Danke
Anna

Re: Ich ersticke im Müll meines Sohnes

Jana, Montag, 22.08.2005, 15:10 (vor 6828 Tagen) @ Anna

Hallo Anna,

Mein erster Gedanke war: Zu viele Emotionen. Soll jetzt nicht albern klingen, ich wills versuchen zu erklären. Anscheinend bist Du alleinerziehend? Vielleicht kommt daher auch die überdurchschnittliche intime Bindung zu Deinem Sohn? In bezug auf seine Vermüllung denke ich, dass das ja mega-intim ist und vielleicht sträubt er sich auch deswegen so, das Thema mit Dir durch Verständis, Reden etc. zu lösen? Vielleicht weiß er nicht, um seine emotionale Grenze zu Dir als Mutter? Also, soll insg. heißen: Mach Dich nicht zu verrückt mit Deinen Gefühlen - einerseits viel Liebe und andererseits Verrücktwerden wegen seinem Chaos im Zimmer. Ich würde es zu trennen versuchen für einen Umgang mit der Problematik.

Zum Chaos im Zimmer... natürlich ist absolut Handlungsbedarf, wenn in seinem Zimmer Maden etc. rumkrabbeln. Schwierig. Wenn es nicht auf der emotionalen Ebene (mit o.g. Punkten usw.) geht, dann geht vielleicht der pragmatische Weg? Also weniger in der Art, dass Du ihm sagst, wie traurig Dich das alles macht und das Du nicht damit klar kommst im Sinne Deiner Verwirrung. Pragmatisch im Sinne von z.B. wenn mal was passiert durch seine Vermüllung > Thema Versicherung, Thema Vermieter bei ggf. nach Nachmieter, Thema Handwerker wenn mal einer ins Zimmer muß... also mehr in dem Sinne: Verstehst Du - das geht so nicht, weil es ein Rattenschwanz an Problemem mit sich zieht und nicht nur der Punkt, dass es einfach nicht "normal" ist. Auch hier Deine Bedenken, dass seine Gesundheit nun dadurch geschädigt ist - auch ein pragmatischer Ansatz, den er vielleicht nicht als Angriff seiner selbst wertet.

Dann fiel mir noch ein: Wenn ihr beide unter der Situation leidet (was ihr ja tut) und trotzdem zusammen das Problem beheben wollt, dann - sag ich mal so - muß einer von Euch stark sein bzw. eben der Stärkere. Soll heißen, wenn Du ihm als Helfende, Unterstützende entgegentreten willst, mußt du stark sein und Deine Emotionen vielleicht mal wegpacken. Natürlich meine ich es nicht so, dass Du Dich aufgeben sollst, um ihm zu helfen (das funktioniert ja nicht). Vielleicht kannst Du Dich stärken, Deine hemmenden Emotionen (um mit der Situation umzugehen) abbauen indem Du nach aussen trittst: Selbsthilfegruppen, Beratungsgespräche usw., die Dir helfen, damit umzugehen. Vielleicht kannst Du dann Deinem Sohn "fachmännischer"/"rationaler" begegnen und er fühlt sich vielleicht nicht durch Deine Gefühle in seiner Intimsphäre verletzt. Ansonsten... muß er selbst sehen/merken/entscheiden, dass er sich anscheinend ändern muß. Dies kannste ihm ja nicht abnehmen, aber vielleicht das "Eklige" wenigstens wegbekommen. Immerhin wohnt er mit Dir zusammen und es gibt Spielregeln (wenn er später mal mit ner Freundin zusammenzieht, muß er sich ja auch an Regeln halten - vielleicht kann er es als Übung betrachten).

Ich wünsch Dir viel Glück und Kraft, Ihr schafft das, Du hast ein gutes Herz und was im Kopf. :-) *Daumendrück*

Lg, Jana

Re: Ich ersticke im Müll meines Sohnes

Anna, Dienstag, 23.08.2005, 21:47 (vor 6827 Tagen) @ Jana

Hallo Ihr Lieben !

Erst einmal recht herzlichen Dank für Eure Antworten. Es hat mir sehr viel Mut gemacht und ich hab einen Weg gefunden nicht mehr so hoffnungslos zu sein und sehe den "Schimmer am Horizont" *freu

@Jana:
Ja Du hast Recht. Ich habe alles zu gefühlsbetont gesehen und werde es nun pragmatischer angehen.
Ich dachte immer, dies ist seit Jahren der einzige Streitpunkt, den wir haben... also warum stellt er ihn nicht ab?! Bin ich ihm so egal? Er sieht doch, wie sehr ich darunterleide! Es ist doch nicht schwer auf zu räumen!

Das war mein Fehler, und das habe ich heute gelernt. Er möchte aufräumen. Er nimmt es sich immer vor, aber er KANN es nicht.
Somit fällt es mir schon sehr viel leichter sachlicher an dieses Thema zu gehen, weil ich weiß, das er es nicht tut um mich zu verletzten, denn er ist genauso hilflos wie ich.... Danke für Dein Posting Jana

@almut:
Ja Du hast Recht, , ich habe zuviel Rücksicht genommen, weil ich seine Motivation nicht verstand.
An den sozialpädagogischen Dienst werden wir uns wenden, aber vorher muß ER sich eingestehen, das er ein Problem hat.... vielen Dank für Deine Anregung

@m:
Das mit der Putzfrau hielt ich zuerst für kompletten Blödsinn, denn ich würde mich ja zu Tode schämen, wenn eine fremde Frau diesen Ekel beseitigen sollte. Nachdem ich mich aber weiter informiert habe, hast Du Recht.
Der eine kann nicht tapezieren und holt sich einen Maler, also warum soll jemand, der nicht sauber machen kann, nicht eine Putzfrau einstellen. .. vielen dank für Dein Schreiben.

Ich möchte Euch noch kurz schildern, was ich gemacht habe.
Nachdem ich mich durch sämtliche Informationen hier durchgelesen hatte, habe ich beim Gesundheitsamt angerufen und bekam zwei Telefonnummern.
Eine von einer Selbsthilfegruppe, die aus Betroffenen und Angehörigen besteht. Zu der werde ich erst einmal alleine gehen,denn mein Sohn weiß ja noch nichts von meinen Aktivitäten.(Vielleicht kommt er ja später mit)
Die andere Telefonnummer war ein Beratungsdienst. Ich habe sehr lange mit dem Mann dort telefoniert und in dem Gespräch spiegelten sich Eure Antworten wieder.
1.) Emotionen rauß und die Sache praktisch angehen.
2.) Werde ich, wenn morgen die drei Wochen rum sind, in denen er ja aufräumen wollte mit ihm sprechen. Ohne Schuldzuweisung, nur klare Feststellungen.
Du wolltest aufräumen, aber Du schaffst es nicht! Das ist eine Tatsache! Und ER muß einsehen, das er es wirklich nicht kann!Sollte er immer noch behaupten, er könne ja aufräumen, werde ich mit ihm einen neuen Termin ausmachen, meinetwegen noch zwei Wochen. .. Mir wurde gesagt, das sei wichtig, damit er einsieht, das ER es wirklich NICHT kann.
3.) Werden wir dann , sobald ER es sich eingesteht, den Physiotherapeuten einschalten. OK, bis man da dran kommt, dauert es ein halbes Jahr, weil die so überlaufen sind. Aber ich kann ihm dann mit kleinen Aufgaben helfen... z.B. erst mal nur einen Weg bis zum Bett frei machen u.s.w.

Ich bin wieder so voll Mut und danke Euch!
Drückt mir die Daumen.
Liebe Grüße
Anna

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Re: Danke ... für die Rückmeldung . (o.T.)

Micha @, Dienstag, 23.08.2005, 22:52 (vor 6827 Tagen) @ Anna

- kein Text -

Re: Ich ersticke im Müll meines Sohnes

Jana, Mittwoch, 24.08.2005, 09:31 (vor 6826 Tagen) @ Anna

Morgen Anna,

ich freu mich für Dich, das Du wieder Land siehst! :-) Die kommenden Tage & Wochen viel Erfolg & Kraft Euch beiden, und halt uns doch auf dem Laufenden, wenn Du Zeit und Muse hast. :-)

Liebe Grüße,
Jana

Re: @Anna

almut, Montag, 22.08.2005, 17:23 (vor 6828 Tagen) @ Anna

liebe anna,

so wie sich das ganze entwickelt hat, finde ich, dass du dringend grenzen setzen und forderungen aufstellen musst, um nicht eine gesundheitliche gefährdung auch für dich zu riskieren.

meiner meinung nach nimmst du zuviel rücksicht auf deinen sohn, auf deine kosten.

du musst dich ja nicht gleich von ihm trennen, aber du solltest darauf bestehen, dass ein mindestmaß an hygiene in diesem zimmer hergestellt wird und klarmachen, dass du nicht mehr bereit bist, solche zustände in deiner wohnung zu dulden.

vielleicht wäre auch die einschaltung einer vorübergehenden hilfe von außen eine möglichkeit? (stichwort: sozialpsychiatrischer dienst)

alles gute für dich

almut

Re: Ich ersticke im Müll meines Sohnes

m., Montag, 22.08.2005, 19:39 (vor 6828 Tagen) @ Anna

Hallo, Anna!
Ich schließe mich meinen "Vorschreiberinnen" an.
Nimm mal kurz alle Gefühle raus, und betrachte die Sache ganz nüchtern und juristisch:
Dein Sohn ist erwachsen und verdient eigenes Geld, von dem er Dir hoffentlich Kostgeld zahlt. Damit ist er Dein "Untermieter". Ihr habt einen (unausgesprochenen)"Vertrag" miteinander.
Wenn ich seine "Zimmerwirtin" wäre, würde ich seine "Nebenkosten" um ca. 50e erhöhen, und dafür eine "Putzfrau" für einmal die Woche engagieren.

Die Unordnung im Zimmer ist seine Sache, aber wenn es unhygienisch wird, ist Schluß.
Viele Grüße, halt die Ohren steif, Du schaffst es.
m.(selber ziemlich unordentlich)

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