Erfahrungen mit Ausräumung ohne Zustimmung? (Angehörige)

Rebekka, Montag, 23.03.2009, 16:21 (vor 5547 Tagen)

Hallo,

mein Vater (73) ist seit geraumer Zeit Messie und sammelt vornehmlich Zeitungen (und anderen Papierkram), Gefäße und Abfall (den er nochmals sortiert, Verpackungen werden gereinigt)im Keller, eine Ausbreitung auf andere Wohnbereiche konnte meine Mutter bisher mehr oder weniger erfolgreich verhindern. Meine Eltern Leben zusammen in einem großen Haus, dennoch hat sich die Situation in den vergangenen Monaten derart zugespitzt, dass mein Vater, der im Keller lebt und auch schläft, mittlerweile sein Bett und seinen Kleiderschrank nur noch sehr eingeschränkt erreicht.
Mein Bruder (22) und ich (27) studieren und wohnen in anderen Städten. Die momentane Situation ist im Grunde genommen unerträglich, unzählige Versuche in den letzten knapp 10 Jahren, ihn mit Gesprächen (, die regelmäßig eskalieren) zur Einsicht zu bewegen oder ihn einer psychologischen Behandlung zuzuführen, schlugen fehl. Natürlich ist die Veränderung seines Charakters fast belastender als der Müll, der den Keller unzugänglich macht, geworden (Betroffene werden wissen, was ich meine).
Nun keimt in uns der Plan, den Keller in seiner Abwesenheit und ohne seine Zustimmung auszuräumen und nicht wegwerfen, sondern einen Lagerraum mieten und die Sachen aushäusig unterbringen.

Ich kenne mich mittlerweile sehr gut mit allen Facetten des Messie-Syndrom aus und mir ist sehr wohl bewusst, dass generell (verständlicherweise und vermutlich auch zu Recht) von derartigen Aktionen abgeraten wird. Dennoch sehen wir als seine Familie im Moment keine andere Lösung und möchten das Unterfangen während einer seiner nächsten Reisen wagen.
Allerdings kann ich seine Reaktion darauf nicht hundertprozentig einschätzen.
Er wird einen Wutausbruch bekommen und vermutlich flüchten, möglicherweise für mehrere Wochen. Doch wie geht es dann weiter?

Hat jemand Erfahrung mit diesem Vorgehen und vor allem mit der (langfristigen) Reaktion des Betroffenen?

Für Antworten und vielleicht auch Ratschlägen bei der Vorgehensweise wäre ich sehr dankbar.

Rebekka

Re: Erfahrungen mit Ausräumung ohne Zustimmung?

Andrea, Dienstag, 24.03.2009, 00:08 (vor 5546 Tagen) @ Rebekka

Keller in seiner Abwesenheit und ohne seine Zustimmung auszuräumen
dass generell (...) von derartigen Aktionen abgeraten wird

„Abraten“ ist gut. Es handelt sich, soweit ich weiß, um eine Tat, die
vielleicht durch das Strafgesetzbuch als Hausfriedensbruch sanktioniert ist,
also um eine Straftat, die Ihr gemeinsam gegen einen Verwandten plant.

Hat jemand Erfahrung mit diesem Vorgehen

Wenn ich in Deiner Situation wäre, würde ich darin ein Problem meiner
Mutter sehen. Es liegt an ihr, die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Tut
sie dies nicht, ist Aktionismus kein Ersatz. Ich würde mich deswegen
nicht zu einer eventuellen Straftat hinreißen lassen. Chaotische
Menschen haben eine Tendenz, dich in ihr Chaos hineinzuziehen. Laß dich
nicht mehr als nötig verstricken, sondern distanziere dich von dem Meß.
Lasse dich auf keinen Fall zu Straftaten verleiten. Lasse dich anwaltlich
(und am besten auch psychologisch) beraten, bevor Du etwas tust. Frage
eventuell den Sozialpädagogischen Dienst Deiner Gemeinde.

Zu den möglichen Folgen für Deinen Vater, kann man sich einmal ansehen,
wie sich Einbrüche auswirken:

„Ein Einbruch in die eigenen vier Wände verursacht
bei vielen Menschen einen großen Schock. Dabei
machen den Betroffenen die Verletzung der Privatsphäre,
das verloren gegangene Sicherheitsgefühl und auch
mögliche psychische Folgen, die nach einem Einbruch
auftreten können, häufig mehr zu schaffen als der
materielle Schaden.“

http://www.kapo.sg.ch/etc/medialib/publikationen/kantonspolizei/sicherheitsberatung.Par...

„Waschzwang … Die meisten Opfer beginnen damit,
die Wäsche zu waschen, von der sie vermuten,
daß sie der Täter in der Hand gehalten hat.
Viele stellen die Möbel um oder tapezieren
die ganze Wohnung neu. "Man muss nicht 85 sein,
um durch einen Einbruch traumatisiert zu werden",
erläutert Jesionek. "Das ist auch bei jungen
Menschen oft der Fall." "Ich träume nachts davon,
wie der Mann vor dem Wäschekasten hockt und
jede Unterhose einzeln aus dem Kasten nimmt und
betrachtet", erzählt eine 41-Jährige. Unbekannte
sind über die Terrassentür ihres Einfamilienhauses
eingestiegen. Sie stahlen kaum Nennenswertes.
Viele Opfer stopfen nach einem Einbruch ihre
Wäsche in die Waschmaschine, noch bevor sie mit
den Aufräumarbeiten beginnen. Sie schrubben
den Boden, wischen Möbel ab, waschen das Geschirr.“

http://www.kripo-online.at/krb/show_sel.asp?sel=1&aus=67

Hier ist nicht die Wegnahme von Eigentum der eigentliche
Schaden, sondern die Vorstellung, daß eine andere Person
ohne Einverständnis oder Kontrolle in der eigenen Wohnung
alles Mögliche angefaßt oder betrachtet haben könnte.

Und die hier betroffene Traumatisierung tritt schon bei
Menschen auf, die (bis dahin) psychisch gesund waren und
auch keine Messies waren. Für einen Messie, der vielleicht
auch noch psychische Probleme hat, könnten die Folgen ja
auch schwerwiegender sein.

Re: Erfahrungen mit Ausräumung ohne Zustimmung?

Paladin, Dienstag, 24.03.2009, 02:08 (vor 5546 Tagen) @ Rebekka

Moin,

kann da Andrea nur zustimmen
Auch wenn euch das als Angehörige nicht paßt, gibt dies euch noch lange nicht das Recht, die Brechstange auszupacken
Solange der Betroffenen keinen Leidensdruck hat und um Hilfe bittet, ist jede Maßnahme zwecklos
Und solange für Dritte keine Gefahr ausgeht, ist das auch nicht Thema irgendwelcher Behörden
LG vom Paladin

Re: Erfahrungen mit Ausräumung ohne Zustimmung?

Jenny, Dienstag, 24.03.2009, 10:20 (vor 5546 Tagen) @ Rebekka

Hallo Rebecca,

ich kann dir nur erzählen, wie mein Mann reagieren würde: nach der ersten Aufregung täte er sich freuen. Dann hat er ja nicht nur seine "Schätze" gut untergebracht, sondern auch wieder freien Raum gewonnen, den er mit weiteren Sachen voll stellen kann. Freien Raum schaffen bedeutet, dass du den Raum auch ständig gegen neues Zumüllen verteidigen mußt, täglich und das über Jahre, bis der Messie aufgibt, an der Stelle noch was hinzustellen. Bei meinem Mann habe ich den Eindruck, so ganz gibt der nie auf, aber nach 10 Jahren wird es seltener. Ausserdem ist das Aufräumen nicht eure Sache, es sei denn, eure Mutter bittet euch darum.

Grüße Jenny

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