Messie sind egoistisch? (Angehörige)

Xandria, Sonntag, 12.07.2009, 19:00 (vor 5436 Tagen)

Hallo ihr Lieben,

"Messies sind Egoisten." Das ist etwas was ich hier immer wieder lesen und möchte euch mal meine Sicht als Messie zeigen:

Meine Wohnung ist momentan in einem moderaten Zustand ich kann als Besuch reinlassen, weil mich das vorhandene Chaos momentan nicht so stört. Ist mehr wie in einer Junggesellenwohnung.

Vor ca. 3-4 Jahren sah das noch anders - und ganz anders sogar noch vor 7 Jahren!

Vor 7 Jahren: Mein Vater lag im Sterben, meine Mutter war aufgrund dieser Situation mehr oder weniger in die Magersucht abgerutscht und ich habe ein neues Aufgabengebiet in einer neuen Abteilung in meiner Firma übernommen. Ich musst eine Schwangerschaftsvertretung dort machen und die andere Kollegin musste wegen einer Operation ins Krankenhaus. Da war ich also: Familär an vorderster Front und in der Firma musste ich die Arbeit von dreien alleine machen.

Mein Alltag sah so aus: Entweder ich machte Überstunden oder ich kümmerte mich um meine Mutter oder meinen Vater. Um eine Person habe ich mich allerding nicht gekümmert: Um mich selbst!

Ist das egoistisch?

Ich ließ Sachen einfach stehen und liegen wo sie waren. Ich packte Einkäufe nicht mehr weg. Kochen ging gar nicht mehr. Also bestellte ich meistens bei irgenwelchen China- oder Pizza-Lieferservicen.Und behielt die Kartons

Der Grund: Ich war einfach viel zu eschöpft und zu depressiv um noch irgendetwas als das zuvor Beschriebene (Überstunden/Mutter/Vater) zu kümmern. Mit der Situation um meinem Vater war ich eigentlich viel zu überfordert. Aber außer mir machte keiner diese Sachen. Und es ist echt nicht einfach einen Menschen, der vorher der Halt in deinem Leben war - sterben zu sehen.

Alle erwarteten, dass ich funktioniere, alle habe mich mit der Verantwortung allein gelassen.

Und ich funktionierte - nur nicht da, wo es keiner sah! Bei mir zu Hause.

Mit wachsendem Chaos wuchs auch die Angst. Angst entdeckt zu werden. Ich war den Müllbergen einfach nicht gewachsen.

Warum ich nicht einfach eins nach dem anderen entsorgt habe?

Wenn ich mit einer Mülltüte runter zu den Mülleimern wollte, kamen Gedanken wie: Alle werden die Türen aufreißen und mit dem Finger auf mich zeigen, weil sie wissen, was für ein furchtbarer Mensch ich bin. Was für eine Versagerin! Was für ein Schmutzfink!

Es kam soweit, dass ich gar nicht mehr nach Hause wollte - ich blieb meistens in der Stadt oder im Internetcafe bis tief in die Nacht. Ich stand dann lange vor meinem Haus und wartete bis alle Fenster dunkel waren, erst dann schlich ich mich im Dunkeln leise nach oben. Ich verbrachte Tage in meiner Wohnung ohne Licht ohne Fernsehen oder Radio stillsitzend und mich nicht bewegend, damit mich niemand hört und mich niemand mehr findet.

Während der ganzen Zeit habe ich mich aber um meine Arbeit, meine Mutter oder meinen Vater gekümmert - ICH war immer da, wie schlecht es mir auch ging.

Das ist egoistisch?

Gruß Xandria

Re: Messie sind egoistisch?

Violine, Sonntag, 12.07.2009, 20:03 (vor 5436 Tagen) @ Xandria

Hallo Xandra,

keine Ahnung, wer hier von "Messies sind Egoisten" redet.
Die Psychologen bezeichnen das Problem von Messies mittlerweile als "Organistationsdefizit-Syndrom".
Und ich denke, das trifft es ganz gut.

Du warst überfordert, hattest zuviele "Baustellen". Bevor Du all diese Herausforderungen hattest - war da noch alles in Ordnung bei Dir?
Nicht jeder Messie sammelt Müll und Abfall. Manche Messies sammeln einfach zu viele Dinge und diese Dinge türmen sich dann ungeordnet, schaffen aber trotzdem ihren Hausmüll weg.
So pauschal lässt sich das also nicht sagen.

Die chaotische Art von Messies ist ja keine Störung an sich, dem liegt IMMER etwas tiefer Gehendes zugrunde.
Ich weiss nicht, an welchem Punkt Du heute stehst, psychisch gesehen.
Du solltest Dir Hilfe suchen. Aber nicht in Form von einer Person, die Dir aufräumen hilft, sondern in Form von Therapie oder Beratung, was Deine psychische Verfassung anbelangt. Anlaufstelle ist z.B. Pro Familia oder Caritas.
Wenn das Innen in Ordnung kommt, wirkst sich das auf das Außen aus.

Aber diese Entscheidung musst Du ganz alleine für Dich treffen.
Vergiss, was andere Leute eventuell über dich denken könnten (das ist nur Spekulation deinerseits).
Du bist bedürftig, du brauchst Hilfe, Du solltest etwas für Dich selbst tun.
Das ist, was ich aus Deinen Zeilen herauslese.

Viel (Entschluss-)Kraft wünsche ich Dir!

LG

Re: Messie sind egoistisch?

Xandria, Sonntag, 12.07.2009, 20:15 (vor 5436 Tagen) @ Violine

Hallo Violine,

eine Therapie habe ich hinter mir und bin mein Empfinden nach kein Messie mehr (obwohl das Empfinden da noch schwankt). Eine Therapie mit begleitendem Aufräumen habe ich hinter mir.

Das mit "Messie sind egoistisch" habe ich hier immer mal wieder gelesen, deshalb habe ich auch auf keinen speziellen Beitrag Bezug genommen.

Wollte nur mal das Innere nach Außen bringen und euch somit einige Sachen erklären.

Chaotisch war ich schon immer, aber zwischen Chaot und Messie liegen Welten.

Gruß Xandria

Re: Messie sind egoistisch?

Violine, Montag, 13.07.2009, 10:25 (vor 5435 Tagen) @ Xandria

Hallo Xandria,

das ist schon sehr nett von Dir, dass Du uns einen Einblick in Dein (früheres) Innenleben gewährt hast.
Ich kenne einen Messie, der hat z.B. aber gar keine Probleme, also irgendwelche Schicksalsschläge erlebt. Dessen Leben verlief immer ganz geradlinig. Er hat alles erreicht, was er sich vorgenommen hat (Beruf usw.) Trotzdem ist er der schlimmste Messie, den ich je erlebt habe. So offensichtlich ist das also nicht.
Meine Theorie ist mittlerweile, dass die Ursachen in der frühen Kindheit liegen.

Und gibt nicht so viel drauf, was die Leute reden. Menschen reden viel, bis der Tag lang ist.

Solange ein Messie allein lebt, bleibt das Problem oft versteckt. Aber wenn Ehepartner, Kinder usw. mit dem Messie zusammenleben, ist das sehr schwer auszuhalten.

Ich freue mich für Dich, dass Du Dein Problem angegangen bist !

LG

Re: Messie sind egoistisch?

Xandria, Montag, 13.07.2009, 10:49 (vor 5435 Tagen) @ Violine

Hallo Violine,

Gründe/Auslöser für das Messie-Syndrom gibt es ungefähr soviele wie es Messies gbit!

Jeder hat eine andere Geschichte hinter dem Mess. Du zuvor beschriebene war meine und erhebt keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit!

Danke fürs Lesen und Antworten - freu mich immer über Austausch.

Gruß Xandria

Re: Messie sind egoistisch? - die Erfahrungen mit einer Messiemutter

pirella, Donnerstag, 10.12.2009, 13:27 (vor 5285 Tagen) @ Xandria

hallo Xandia,

ich bin messi-opfer, soll heißen meine mutter ist ein messi unter dem ich sehr leiden musste bzw. leide. denn sie gibt nicht zu, dass sie ein messi ist. ihrer meinung nach ist das nur unordung verursacht durch zu wenig zeit. an sich auch wirklich ein guter grund, doch so wie ich es von dir lese, darf ich es mir auch immer als entschuldigung von meiner mutter anhören und ganz ehrlich, es nervt!!! du wohnst alleine?! da geht es vielleicht, denn da bist wirklich nur du die betroffene, du stehst deinem eigenen seelenfrieden im weg, verzichtest freunde einzuladen und einfach auf's wohlfühlen... du bist also total unegoistisch. doch jeder messi, der einen mitbewohner hat ist in meinen augen egoistisch! ich konnte nie einen normalen kindergeburtstag feiern, es gab irgendwie immer nur mcdonals und bowling oder kino, ganz klasse. ach und meinen 18. durfte ich bei meinen großeltern feiern... ich konnte nie freunde mitbringen!! ich konnte meinen freund nicht mitbringen!! wie glaubst du erklärt man das einem anderen?! es ist zu unordentlich zu hause und deshalb kannst du nicht mit? ich habe meiner mutter bereits mit 4 jahren dabei geholfen alles so wie es war in kisten und schränke zu stopfen (überraschungsbesuch von oma und opa zu ihrem geburtstag, der eigentlich am wochenende gefeiert werden sollte mit essen gehen natülich), weil ich es nicht anders kannte und glaube mir, aufräumen musste ich auch erst lernen... irgendwann hab ich versucht aufzuräumen, ich meine so richtig: müll weg, zu kleine klamotten weg, papiere, zeitungen auf einen stapel, sachen die sie nochmal anprobieren muss, sachen die passen aber noch gewaschen werden müssen.. ich habe in jedem zimmer alles zu stapeln sortiert oder eingeräumt wo's hingehört und die beutel mit den sachen stehen noch heute genauso im kleiderschrank wie vor 7 jahren... und rundrum hat sich einiges aufgetürmt (das abgeschlossene zimmer)seit ca. einem jahr wohne ich bei meinem freund bzw bei seinen eltern, weil ich noch in meiner ausbildung bin und mir selbst keine wohnung leisten kann und es bei ihr nicht geht... wie gesagt, ich kann genauso wenig jemanden mitbringen wie sie, selbst, wenn mein zimmer noch so aufgeräumt ist, es gibt ja immerhin sowas wie ein badezimmer und den flur... abgesehen davon ist es eklig in so einer küche essen zu machen, abzuwaschen, das würde ich keinem zumuten wollen. sie jammert rum, dass ich auch mal nach hause kommen soll und wenn ich komme, schiebt sie noch alles so zusammen, das pfade von raum zu raum entstehen. ich hatte mich mal mit meinem freund gestritten und dann wollte ich nach hause, zu meiner mami, doch als ich mein zimmer betrat, musste ich schreien, weinen, wüten und ich war so unglaublich enttäuscht, fühlte mich vor den kopf gestoßen: sie hatte nach 2-3 monaten bereits mein zimmer belegt... das ist egoistisch! ich hab es immer aufgeräumt, nachdem ich den dreh raus hatte. und sie war immer so stolz, das dieses zimmer nicht den anderen glich und dann sowas. es war mein bereich, mein zimmer, mein bisschen ordnung, seelenfrieden!!!
und ich glaube, ich habe seitdem aufgegeben. sie will nicht sehen, was mit ihr los ist und ich bin's leid! ich gebe mir so viel mühe und bin auch mit unglaublich viel geduld dabei, doch wenn sie nur rückschritte macht, egal ob ich es probiere oder nicht und wenn sie sich nicht helfen lassen will von leuten, die damit erfahrungen haben, wie soll ich ihr da helfen??? sie ist egoistisch, weil sie nie darüber nachdenkt, wie schlimm das eigentlich alles war, wie schön es hätte sein können, wie schön es sein könnte, jetzt!!! und wenn nicht für sich selbst, dann ausnahmsweise mal für mich!! sie ist krank, doch sie stört es nicht und sie scheint es auch nicht zu stören, das sich andere menschen deshalb sorgen machen...

Re: Messie sind egoistisch? - die Erfahrungen mit einer Messiemutter

Xandria, Montag, 28.12.2009, 16:17 (vor 5267 Tagen) @ pirella

Hallo Pirella,

Ich habe meine Geschichte hier gepostet, weil ich euch mal einen Einblick geben wollte, wie es zum Mess kommen kann und warum man nicht aufräumen kann. Die Betonung liegt hier auf dem Wort kann. Es ist meine Geschichte und mein Umgang mit dem Mess und erhebt keinen Anspruch auf Alleingültigkeit, soll heißen, dass hinter jedem Mess eine andere Geschichte, ein anderer Grund steckt. Und schon gar nicht ist sie als Entschuldigung gedacht.

Das ihr Angehörigen unter unserer Unordnung leidet, kann ich durchaus nachvollziehen! Schließlich ist mein Mess der Hauptgrund dafür, warum ich alleine lebe.

Für mich ist mein Mess immer seelischer Druckausgleich gewesen. Sagt dir der Ausdruck Borderline-Störung etwas? Das sind Menschen, die sich verletzen, weil sie mit sich selbst und ihrem Umfeld nicht klarkommen. Die spüren einen inneren Druck und versuchen sich durchs Schneiden usw. Erleichterung zu verschaffen. So ähnlich verhält es sich mit mir und meinem Mess.

Sagt man ..

zu einem Borderliner „hör einfach auf, dich selbst zu verletzen“?
zu einem Alkoholiker „hör einfach auf zu trinken“?
zu einem Drogenabhängigen „hör einfach auf, Drogen zu nehmen“?
zu einem Depressiven „sei einfach mal gut drauf“?
zu einem Menschen mit Angstneurosen „hab einfach keine Angst mehr“?

wohl kaum. Weil es nichts bringt. Und genauso wenig bringt es etwas, einem Messie zu sagen „räum einfach auf“.

Hinter dem von euch angenommen „Nichtwollen“, „Nicht-einsichtig-sein“ steckt oft ein „Nicht-Können“. Auch wenn es dir wie eine Ausrede vorkommt.

Du schreibst, dass du das Opfer deiner Messie-Mutter bist (warst). Weißt du ich bin/war auch ein „Opfer“ meiner Mutter, obwohl die kein Messie ist/war. Aber einige Dinge, die du erzählst kommen mir bekannt vor. Soll ich mal loslegen?

Ich hatte bis kurz vor meinem Auszug kein eigenes Zimmer – lebte also quasi auf dem Präsentierteller. Da war nix mit Privat- oder Itimsphäre. Als vollständig entwickelte 16jährige schlief ich im Wonhzimmer. Aus diesem Grund musste ich meine Geburtstage und dergleichen auch woanders abwickeln.

Vorausgesetzt ich durfte mal unter Leute! Denn von Schule und Ausbildung mal abgesehen, war es bei meiner Mutter und Großmutter (sie lebte bei uns) gar nicht gern gesehen, dass ich wegging. Ich hatte immer vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause zu sein (auch im Winter). Und wenn ich dann mal später nach Hause kam, stand meine Mutter entweder kurz vor dem Zuckerschock oder meine Oma kurz vor dem Herzinfarkt oder beides. Was natürlich alles meine Schuld war.

Du hast mit 4 Jahren deiner Mutter beim Aufräumen geholfen? Ich habe das nie gut oder schnell genug geschafft. Das konnte meine Mutter alleine immer besser. Allerdings war sie dadurch so erschöpft, dass sie oft wie ein Häufchen Elend mit mir allein im Esszimmer ( ja, wir hatten ein Esszimmer) saß und mir vorheulte, sich entweder umzubringen oder die Familie zu verlassen. Einer Vierjährigen! Wenn andere Familienmitglieder hereinkamen, war schwuppdiwupp wieder alles in Ordnung!

Und dann war dar noch die Geschichte als ich 11 Jahre alt war, da hat meine Mutter Telefon-/Psychoterror gegen die eigene Familie betrieben. Weiter sag ich dazu nix, würde den Rahmen hier sprengen.

Ich liebe meine Mutter trotzdem und kümmere mich heute um sie, weil ich einfach gesehen habe, dass sie nicht anders handeln konnte. Sie hat eben keinen anderen Weg gesehen, als den Druck der auf ihr lastete, so weiterzugeben.

Genauso, wie auch ich keinen anderen Druckausgleich gefunden habe als meinen Mess.

Vielleicht denkst du ja nochmal drüber nach.

Liebe Grüße Xandria

Re: Messie sind egoistisch?

Vicky, Sonntag, 16.05.2010, 20:48 (vor 5127 Tagen) @ Xandria

Hi!

Ja, ich empfinde Messies als egoistisch. Definitiv!

Aber bevor ihr euch aufregt: Depressive sind auch sehr ego-versiert mit ihrem Tunnelblick. Manche nennen es sogar narzistisch. Also um es positiv formulieren und ich meine es auch wirklich wertfrei: Messies sind genauso egoistisch/unegoistisch wie andere psychisch Erkrankte. Je nach Sichtweise.

Man kann es noch so sehr beschönigen oder verurteilen, ganz nüchtern betrachtet:
Fakt ist, dass Alltag und das alltägliche Miteinander gestört und eingeschränkt sind. Punkt.

Das Problem ist halt, dass sich die Katze in den Schwanz beißt:
Je mehr man sich selbst vernachlässigt, desto mehr schlägt es auf unbewussten, anderen Wege zu Buche, dass es nur noch um einen selbst geht. Und sei es um das nicht-Vorhandene Selbst. Alles, was man auf der eine Seite von sich wegschiebt, kommt auf der anderen Seite wieder rein. Notfalls eben in Form von "MESS".

Wer z.B. ständig für andere Arbeiten übernimmt und sich selbst dabei völlig vernachlässigt, wird dafür auf dem emotionalen Sektor keine Resourcen mehr für seine geliebte Mitmenschen haben.
Wie bei allen psychischen Erkrankungen hilft es, den Focus auf Menschen zu richten, die man liebt. Solange das nicht zu Verdrängung wird.

Wie gesagt, so beißt sich die Katze in den Schwanz. Ein "Messie" verausgabt sich einerseits für andere, anderseits rächt sich das, weil es dann in anderer Hinsicht nur noch um ihm und sein Chaos geht. Und die Angehörigen? Die ja eigentlich gar nichts dafür können, sind am Ende die Angeschmierten. Aber auch hier gilt: das ist bei all diesen psychischen Erkrankungen ähnlich. Hat nichts speziell mit Messie oder nicht zu tun.

powered by my little forum