Langzeitfolgen für die Tochter einer Messi-Mutter (Angehörige)

Schutzengel, Freitag, 18.01.2013, 18:58 (vor 4128 Tagen)

Meine Mutter hat, seit ich mich erinnern kann immer mindestens ein Gruschtelzimmer (Zimmer mit Häufen von gehorteten doppelt und dreifach gekauften Dingen, die man ja noch brauchen könnte) im Haus gehabt. Mit den Jahren wurden es stetig mehr, wie bei den meisten Messis. Wutanfälle meines Vaters kurz vor Urlaubsreisen, weil er nicht in einen Saustall zurückkommen wollte und durch Fensterrauswürfe Aufräumaktionen erzwang, die auch uns Kinder die Nächte gekostet haben, inklusive.

Durch einen schweren Schicksalsschlag hat sich dann die Situation noch verschlimmert und nun vergammeln u.A. seit Jahren Kinderklamotten im nassen Keller, die Waschküche ist mannshoch mit Dreckwäsche umramt, Gänge sind im Slalom zu passieren, sobald sie außerhalb der Sichtweite der Haustüre, sind, alle möglichen Räume werden als Lagerraum für das Messisammelsurium mißbraucht etc.

Ich habe mich als Kind in Grund und Boden geschämt, weil ich ja von anderen Haushalten wusste, das es anders sein kann, und durfte auch nie Kinder zu Parties einladen. Zudem hat meine Mutter mit allen Mitteln versucht das eigene Selbstwertgefühl durch das Angreifen Anderer, auch uns Kinder, zu steigern. Eigene "Arbeit", die normalerweise als Standard-Haushaltsarbeiten, neben dem Beruf her gemacht werden können, wurden als Meisterleistung der Hausfrau hochgehoben, die Niemand so richtig machen kann, wie sie. Aufräumen wurde als böswillige Einmischung und Insubordination gewertet. Es sei denn das Kind hatte sein Zimmer nicht aufgeräumt, was in den meisten Fällen immer noch ordentlicher war, als der Rest des zugestellten Hauses.

Nun ist es so, das ich mittlerweile in Behandlung bin, da ich durch die soziale Isolation durch den Messihaushalt in der Teenagerzeit und die gestörte Mutter-Kind-Beziehung, keine ausreichende soziale Kompetenz entwickeln konnte. Eine normale Paarbeziehung konnte ich bisher auch nicht eingehen, da ein gestörtes Bild des Paarverhaltens vorgelebt wurde. Zudem habe ich als Kind eine Überautonomie entwickelt, die mir das Überleben sicherte, die jetzt aber zu Problemen führt.

Ich strebe nach innerer und äußerer Ordnung und kann Horten mittlerweile nicht mehr ertragen, weil es mich innerlich erdrückt. Natürlich weiß mein Verstand, das meine Mutter Unordnung als beruhigend empfindet, entgegen des psychisch gesunden Verhaltens, aber ich ertrage es nicht mehr. Ich kann nicht mehr ausblenden.
Ich ertrag diese Angriffe nicht mehr, wenn etwas anders gemacht wird, als es die in ihrer eigene Vorstellung "perfekte" Hausfrau macht. Ich will nicht mehr zuhören, wenn sie Jedem anderen die Schuld an der Unordnung gibt, aber den halben Tag vor dem Fernseher sitzt. Ich will nicht mehr Kleidung finden, die ich in den Altkleidersack gesteckt hatte und die durch sie wieder herausgeholt wurden. Ich will nicht mehr überall Vasen und Töpfe finden, wenn im Keller extra ein leeres Regal dafür steht. Mich ekeln cm-dicke Staubschichten. Ich halte es nicht aus, wenn sie Wertstoffe von einem Raum zum anderen trägt, anstatt sie einen Raum weiter in den Abstellraum in die dafür von ihr selbst eingerichtete Box legt. Ich ertrage die Kisten überall nicht mehr, in die kurz vor Besuchen schnell noch die Dinge von Tischoberflächen, wie Zeitschriften etc. gesteckt und in andere Räume gestellt und dort dann für Jahre gelagert werden. - Diese ständige Auflehnung gegen Veränderung, gegen das Loslassen, gegen Hilfe, für mehr soziale Kontakte und Freunde im Haus. Ich hasse diese aufgesetzte Fassade, wenn man Auswärts mithelfen kann beim Putzen, aber zuhause nicht in der Lage ist, einmal in der Woche zu Saugen.

Natürlich weiss ich das Messis das äußere Caos brauchen um innerlich im Gleichgewicht zu bleiben, aber was ist mit mir und den Auswirkungen auf mich und mein Leben?! - Ich werde jetzt versuchen mein inneres Kind mit dem zu versorgen, was es braucht, und nicht mehr darauf hoffen, das meine Mutter das tut. Ich werde versuchen all das nachzulernen, was Andere während ihrer Kindheit lernen konnten und ich will mich endlich einem Partner zuwenden können. - Aber all das wird nicht mit oder durch meine Mutter geschehen, was es im idealen Fall sollte. Das ist Schade für mich, aber auch schade für Sie. Sie wird es aber nie wirklich so wahrnehmen und ich werde es ihr nicht mehr zu erklären versuchen. Ich bin durch damit.

Vielleicht hilft es Jemandem der das liest, für den es noch nicht zu spät ist eine wertvolle Beziehung zu retten. MfG


Schutzengel

Re: Langzeitfolgen für die Tochter einer Messi-Mutter

Saskia, Mittwoch, 06.02.2013, 05:57 (vor 4109 Tagen) @ Schutzengel

Wünsche Dir alles Gute! Bin auch in einem Messiehaus großgeworden. Die Isolation etc. hat auch bei meinen Geschwistern und mir so einiges zum Aufarbeiten dagelassen. Leider nimmt niemand den Leidensdruck der Angehörigen wahr. Liebe Grüße

Re: Langzeitfolgen für die Tochter einer Messi-Mutter

Schutzengel, Mittwoch, 06.02.2013, 17:45 (vor 4109 Tagen) @ Saskia

Ersteinmal, ein herzliches Danke, das selbe wünsche ich dir und deinen Geschwistern auch!

Und du hast Recht, mich macht es des öfteren heute sogar richtig wütend, das die Leiden der Co-Messies einfach so oft ausgeblendet werden.
Gerade Kinder die in eine so schräge Familienumgebung hineingebohren werden und später dann in der relativ normalen Welt nicht richtig "funktionieren" können, weil sie so verkorkst wurden, leiden jahrzehntelang danach noch. Es ist ja nicht nur der äußerliche "Müll", sondern man bekommt ein ganz falsches Selbst- und Gesellschaftsbild und Verhalten anerzogen und muss das wieder mühevoll im Erwachsenenalter "umschulen". Ich ertappe mich oft dabei, das ich verbal meine Grenzen nicht eindeutig setzen kann, weil man mir meine Grenzen als Kind einfach nicht gelassen hat, und das macht es auch für mein Umfeld schwierig, wenn ich stattdessen schweige. Ein weiteres großes Problem ist dieses lähmende mangelnde Selbstwertgefühl, was aus dem typischen perfektionismussfordernden Messi-Satz: "Mach es gleich ganz richtig oder lass es sein." Ich habe viele Dinge, die mir in Spaß gemacht haben nicht weitergeführt, wenn eine kleine Kritik kam und dagegen muss ich jetzt auch tagtäglich wieder aufs Neue ankämpfen.

Ich will das andere Messi-Angehörige nicht so ins "Boxhorn" gejagt werden wie ich als Kind, denn das zerstört Potential, das wertvoll ist. - Das ist mir ein ganz großes Herzensanliegen! [image]

Re: Langzeitfolgen für die Tochter einer Messi-Mutter

Saskia, Mittwoch, 06.02.2013, 19:35 (vor 4109 Tagen) @ Schutzengel

Das hätte ich mir damals auch gewünscht. Das man eine Anlaufstelle hat. Da aber jeder in seinem Haus so leben darf, wie er möchte, wird man es wohl nicht verhindern können, dass auch in Zukunft Kinder unfreiwillig so leben und darunter leiden müssen. Das mit dem geringen Selbstbewusstssein und nichts zutrauen kenne ich auch. Naja, was erwartet man auch, wenn man jahrelang sich verstecken musste / unsichtbar sein, damit keiner dahinter kommt. Freundschaften nur auf Entfernung pflegen konnte. Jeden von einem versuchen fernzuhalten. Das kann man nicht von heute auf morgen mal so eben ablegen, nur weil es einem bewusst ist. Gut, dass Du einen Weg für Dich gefunden hast! Alles Liebe!

Re: Langzeitfolgen für die Tochter einer Messi-Mutter

Paladin, Sonntag, 10.02.2013, 17:02 (vor 4105 Tagen) @ Schutzengel

Es ist ja nicht nur der äußerliche "Müll", sondern man bekommt ein ganz falsches Selbst- und Gesellschaftsbild und Verhalten anerzogen und muss das wieder mühevoll im Erwachsenenalter "umschulen".

Was ist denn das richtige Selbst- und Gesellschaftsbild und wer legt das fest? Und mit welchem Recht?

LG vom Paladin

Re: Langzeitfolgen für die Tochter einer Messi-Mutter

Petrus, Donnerstag, 14.02.2013, 11:32 (vor 4101 Tagen) @ Schutzengel

Hallo Schutzengel

Ich wünsche Dir alle Kraft einen eignen Weg zu finden und umzusetzen. Ich finde sehr gut, daß du andere an deinem Schicksal teilnehmen lässt und zu mehr "Aufsässigkeit" -Eigenständigkeit ermunterst.
Ich komme aus einer anderen problematischen Familienstruktur und kann dein Elend erahnen.
Ich habe Vorbehalte gegenüber einer Therapie( verstandesmäßig), aber viel gelesen und einiges heftiges Verhalten mit anderen erlebt.
Ein sehr interessanter Ansatz sind die Überlegungen von B. Hellinger mit seiner Familienaufstellung. Im ersten und im zweiten Moment musste ich schlucken und konnte seine Gedanken nicht annehmen. Vom Verstand kann ich ihm heute folgen.
Stark verkürzt: Die Eltern schenken Leben. Das ist das höchste Gut. Dafür muss ich sie ehren..unabhängig von ihrem Verhalten. Ich kann diese Geschenk nie zurückzahlen.( Nur in Form von selber Leben weitergeben)
Teil 2: Du bist n i c h t für deine Eltern verantwortlich!!!
Ich habe das Recht, ihre Probleme an sie zurück zugeben. z.B. in der Form: Ich verneige mich vor Dir und danke dir für das Geschenk meines Lebens. Ich gebe dir deine Art der Haushaltführung zurück und respektiere sie.Ich übernehme keine Verantwortung und Probleme von dir und gebe sie an dich zurück.
Das schließt nicht aus, das Kinder helfen, wenn sie gebeten werden.Du hast das Recht, bei Vorwürfen zu gehen.
Meine Anmerkung: ICh weiss, daß Eltern subtil Schuldgefühle anlegen und diese trotz Verstand sehr effektiv arbeiten.
Meine Antwort ist sehr komprimiert. Ich kann noch so vieles wiedergeben, was ich als hilfreich empfunden habe.
Die reale Umsetzung geht bei mir auch nur in sehr kleinen Schritten voran.
ICh hoffe, du kannst als Schutzengel bald fliegen.
LG Petrus

Re: Langzeitfolgen für die Tochter einer Messi-Mutter

Katze, Mittwoch, 14.08.2013, 20:02 (vor 3920 Tagen) @ Schutzengel

Ach ja, deine Kindheit kommt mir doch recht bekannt vorMeine mutter war alleinerziehend und ziemlich manisch-depressiv. manchmal war sie der netteste mensch der welt und manchmal auch der teufel in person. und natürlich war unsere kleine wohnung voll von krams. nur selten konnte ich freunde einladen, ständig musste ich mir ausreden einfallen lassen warum das spielen bei uns nicht geht. auch meine mutter hat oft versucht mit großen reden ihre unsicherheit zu verbergen, was alles nur noch schlimmer machte und ich mich für sie und gleichzeitig auch für mich, fast zu tode geschähmt habe. aber das könnte ich ihr natürlich nie sagen, es würde ihr das herz zerreissen
wir sind dann einige male umgezogen und nachdem meine mutter einen neuen mann heiratete, und einen neuen job fand, ging es ihr deutlich besser. ihr schreibtisch ist immer noch chaotisch und wenn ich mit ihr einkaufen gehe, kann sie nicht einschätzen welche art von gegenständen sie jetzt wirklich benötigt und welche nicht, aber das haus ist kein riesiges labyrinth aus verstrickungen mehr und ich habe endlich mehr überlick über mein leben!

Re: Langzeitfolgen für die Tochter einer Messi-Mutter

anonym, Dienstag, 29.10.2013, 01:14 (vor 3845 Tagen) @ Schutzengel

Ich hatte das Gefühl du würdest meine Geschichte erzählen...
Vielen Dank für Deinen Text!

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