Re: Trostfutter - oder wie der Körper chronischen Stress auszubremsen versucht ((M)Essies)

Eva, Freitag, 21.11.2003, 19:32 (vor 7484 Tagen) @ emja

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Trostfutter - oder wie der Körper chronischen Stress auszubremsen versucht

SAN FRANCISCO (MedCon) - Der Chef nervt, zu Hause herrscht dicke Luft und das Auto gibt gerade den Geist auf? Wer in einer solchen Situation dazu neigt, die chronisch gestresste Seele mit Schoko-Keksen oder Schweinebraten zu trösten, lebt zwar auf Dauer nicht gesund, folgt aber möglicherweise einem uralten Programm der Natur.

SAN FRANCISCO (MedCon) - Der Chef nervt, zu Hause herrscht dicke Luft und das Auto gibt gerade den Geist auf? Wer in einer solchen Situation dazu neigt, die chronisch gestresste Seele mit Schoko-Keksen oder Schweinebraten zu trösten, lebt zwar auf Dauer nicht gesund, folgt aber möglicherweise einem uralten Programm der Natur. Warum Menschen mit solchen Angewohnheiten zudem dazu neigen, Fett im Bauchbereich abzulagern, fanden Forscher der University of California in San Francisco jetzt heraus.


Ihre Studie konzentrierte sich auf ein Glukokortikoid-Steroid-Hormon - Kortikosteron bei Ratten, Kortisol bei Menschen) -, das im Stress-Antwort-System eine Schlüsselrolle spielt. Wird das chronische Stress-System aktiviert, stimuliert es eine Flut hormoneller Signale vom Hypothalamus an die Nebennieren.


Wie nun Versuche an Ratten zeigten, veranlassen Glukokortikoide 24 Stunden nach dieser Aktivierung Ratten dazu, sich angenehmen Dingen zu widmen, wie dem Futtern energiereicher Nahrungsmittel (hier mit Saccharose und Schweineschmalz) oder auch zwanghaften Verhaltensweisen wie dem Rennen im Laufrad. Das Ergebnis: Die Tiere, die zum energiereichen Futter tendierten, setzen Bauchspeck an, und die negativen Aspekte des chronischen Stress-Reaktionssystems, die sonst von den Glukokortikoiden in Gang gesetzt werden, werden entschärft.


Die Forscher vermuten nun, dass das Stoffwechsel-Signal, welches das Stress-System hemmen soll, direkt von den Fettdepots kommt. Das Ergebnis bietet eine Erklärung dafür, wie chronischer Stress gehemmt oder gedrosselt werden kann. Während die akute Antwort des Körpers auf Stress - etwa in einer brenzligen Verkehrssituation - über einen hemmenden Rückmeldemechanismus des adrenalen Stress-Systems heruntergefahren wird, wird die chronische Antwort auf Stress - über Tage, Wochen oder Monate - auch chronisch erregt. Über die Zeit kann der erhöhte Stress-Pegel eine Reihe zerstörerischer Effekte auf den Körper haben: Gewichtszunahme oder -verlust, Depressionen, Fettsucht (einhergehend mit Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfall) und Verlust an Hirngewebe.


"Unsere Studien lassen vermuten, dass Trostfutter einem Schlüsselelement für chronischen Stress die Bremsen anlegt", sagt der Koautor der Studie Dr. Norman Pecoraro. Das könnte erklären, warum Menschen mit Stress, Ängsten und Depressionen so oft Trost in solchen Nahrungsmitteln suchen, sagte er. Es könnte auch helfen, bulimische Störungen oder nächtliche Fressattacken zu erklären.


Aus Sicht der Evolution mache der Hang zu Trostfutter Sinn, meint Pecoraro. Denn unter Tieren sei es eine Frage von "Fressen-oder-Gefressen-werden" und ein Körper unter konstantem - oder chronischem Stress - könne energiereiche Nahrungsmittel bevorzugen, um am Ball zu bleiben.


Das neue Modell der chronischen Glukokortikoid-Rückmeldung hat Senior-Autorin Prof. Dr. Mary Dallmann entwickelt. Folgt man diesem Modell, würden Glukokortikoide sowohl Wachsamkeit gegenüber Bedrohungen veranlassen als auch an das Gehirn des chronisch gestressten Tieres das Signal senden, energiereiches Futter zu suchen. Bei Erfolg der Suche würden Stress und die begleitenden Gefühle beendet.


Auch in Regionen der Welt, in denen die Menschen mit Kriegen, Krankheitsepidemien und chronischer Nahrungsmittelknappheit zu kämpfen haben, ist der Bedarf, energiereiche Nahrungsmittel zu suchen, demnach hoch. Anders in den Industrienationen, in denen Stress sich häufiger beim pendelnden Büroangestellten findet: Zwar suchen die Menschen hier nach der gleichen Lösung - finden sie aber an jeder Straßenecke. Ständig Stress zu Hause und auf der Arbeit - chronisch erhöhte Nebennieren-Hormone sind die Folge. "Das System muss über eine Bremse verfügen, und bei einigen ist dies Schokolade", erläutert Pecoraro. Aber mit Sport, Yoga, Meditation, Vollbädern oder auch Sex gibt es andere Wege, die Neurobotenstoffe zu stimulieren, die Gehirnregionen aktivieren, die ihrerseits Wohlbefinden vermitteln.


"Kurzfristig mag es sich lohnen, ein bisschen mehr zu essen und zu schlafen, um bei chronischem Stress etwas ruhiger zu werden, auch auf Kosten einiger zusätzlicher Pfunde", sagt Pecoraro. "Aber wenn Sie eine langfristige Lösung in Trostfutter suchen - statt die Stress-Quelle auszumachen oder Ihre Beziehung zu der Stress-Quelle - wird das schlecht für Sie sein."


Jeder kennt den Adrenalin-Stoß bei akutem Stress, der in Gefahrensituationen wachsam macht: Die Herzrate beschleunigt sich, die Blutgefäße werden enger und die Muskeln mit Energie versorgt. Minuten später werden zudem Hormone ausgeschüttet, die entzündungshemmende Funktionen aktivieren. Ist die akute Gefahr vorüber, werden diese Funktionen über ein hemmendes Rückmeldesystem wieder abgeschaltet.


Bei chronischem Stress schaltet das System jedoch nicht ab, und die Glukokortikoide, die zuvor hemmend wirkten, haben einen hauptsächlich stimulierenden Effekt auf die Stress-Netzwerke im Gehirn. Die Glukokortikoide im System bleiben erhöht und halten die Konzentrationen des sogenannten Kortikotropin releasing-Faktors hoch, der wiederum Adrenokortikotropin reguliert - beides anstachelnde Schlüsselhormone in dem System, das auf chronischen Stress reagiert. Auf diese Weise entsteht ein positive Rückmelde-Regelkreis zwischen den Stress-Systemen von Körper und Gehirn.


Bei ihren Studien stellten die Forscher fest, dass die Ratten, die sich mit Futter getröstet hatten, zwar am Bauch zunahmen, die Ausschüttung des Kortikotropin releasing-Faktors und von Adrenokortikotropin jedoch beendet wurde. Zudem beobachteten sie eine umgekehrte Beziehung zwischen dem Bauchspeck und der Aktivität von Genen in der Region des Hypothalamus, in der die Stressreaktion eingeleitet wird.


"Das scheint die Art des Körpers zu sein, dem Gehirn mitzuteilen ‚Es ist o.k., du kannst dich entspannen, du bist wieder mit energiereicher Nahrung vollgetankt’", erläutert Pecoraro. Das zeigt sich auch bei Männern und Frauen mittleren Alters mit Bauch: "Diese Körperform stellt die klassische Verteilung des durch Stress verursachten Fetts dar." Das neue Modell könne erklären, warum eine Gewichtsabnahme so schwierig ist, sagt er. Denn Abnehmen kann richtig stressig sein, so dass der Diätwillige sich unruhig fühlt. Die Stresshormone steigern wiederum das Verlangen nach energiereicher Nahrung, die die Stressgefühle mildert und das Wohlbefinden bessert.


Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences, Early Edition (2003)

(c) MedCon AG 2003


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