Re: Messie-Umzug - @almut (Angehörige)

ursel, Mittwoch, 31.01.2007, 23:44 (vor 6306 Tagen) @ Almut

Liebe Almut,

danke für deine Zeilen. Du vertrittst eine Ansicht, die mir zu denken gibt. Ja, ich glaube auch das es prinzipiell möglich ist, eine solche Beziehung auf neutralem Gebiet fortzusetzen. Ein bißchen Auszeit brauche ich aber. Wie es und ob es dann weitergeht, wird sich zeigen. Ich habe gemerkt, dass ich unglaublich aggressiv zuerst auf die alte Wohnung, dann auf die neue Wohnung reagiert habe, je voller sie wurde. Das ist eigentlich nicht meine Art und wahrscheinlich auch nicht normal. Ich hab ja das Glück, dass ich mich aus dem Staub machen kann (im wahrsten Sinne des Wortes!).

Zum Thema Zwangserkrankung: Damit umzugehen, beziehungsweise das einfach auszublenden, fällt mir sehr schwer. Ich glaube schon, dass eine Haltung dahintersteht (auch wenn sie krankhaft bedingt ist), die sehr wohl auch andere Lebensbereiche dominiert. Nur ein paar Dinge, die mir an ihm bei dieser Umzugsgeschichte aufgefallen sind und nicht direkt mit dem Umzug zu tun hatten: Lügen, Hilflosigkeit instrumentalisieren, ein völlig starres, eingleisiges Denken. Mag vielleicht auch mit dem Alter zusammenhängen, aber in einer Freundschaftsbeziehung hat sowas nichts zu suchen. Diese Scheidungsgeschichte war ja auch so eine Kuriosität. Anfangs hieß es, sie sei vor zwei Jahren gestorben, dann stellte sich heraus dass dass mindestens zehn Jahre her war und die Scheidung nochmal zwei Jahre zuvor gelaufen war. Natürlich kannst du trotzdem recht haben und er leidet heute noch unter dieser Trennung.

Ich denke, in diesem betreuten Wohnen ergeben sich neue Beziehungen und vielleicht - hoffentlich - werde ich gar nicht mehr gefragt sein.

Grüße und danke
Ursel

hallo ursel,
danke für deinen bericht. ich finde es auch ok, wenn du dich selber nicht überforderst.
diese formulierung finde ich sehr passend: "Bemerkenswert an dieser Auseinandersetzung war, dass (obwohl das Wort "Messie" niemals gefallen ist) mein alter Freund sich offenbar ziemlich klar ist über seine zwanghafte Aufbewahrungssucht."
ich denke auch, dass es mit sucht und zwang zu tun hat, eher mit zwang noch als mit sucht, denn sucht macht ja im gegensatz zum zwang wenigstens kurzfristig freude.
es gibt ja unter den verschiedenen formen der zwangserkrankung auch die form "sammeln und horten".
es ist also auf jeden fall eine krankheit und es herrscht sogar eine krankheitseinsicht vor!
von daher ist es keine persönlichkeitsstörung, keine haltung zum leben usw. wie du untenstehend vermutest. wäre es eine persönlichkeitsstörung, würde dein freund sein verhalten als völlig richtig und normal empfinden.
ich meine, er ist mit dem verlust seiner frau nicht fertig geworden und klammert sich nun an die sachen. sie stabilisieren ihn zur zeit, so belastend die enge wohnung nun auch ist. er war ja vorher offenbar nicht so, wie du schreibst.
"Ich kann, ehrlich gesagt, immer noch nicht glauben, dass so etwas möglich ist. Dass es für manche Leute unbewältigbar ist, sich von völlig unnötigem, versifftem Plunder zu trennen."
psychische krankheiten erscheinen außenstehenden oft sehr bizarr und seltsam. für einen zwangskranken ist so ein verhalten aber typisch. letztlich bewahrt ihn dieses verhalten vor schlimmerem, vielleicht vor einer psychose oder dem suizid.
"Ist es schäbig, eine Beziehung deswegen abzubrechen? Aber ein solcher Umgang mit Dingen (Dingen!) ist doch nichts, was man von einer Person abspalten kann!"
doch, das würde ich tun, also ich würde die krankheit nicht mit der person gleichsetzen. er besteht ja nicht komplett aus der krankheit, hat ja sicher viele gesunde anteile. nur bei persönlichkeitsgestörten ist die ganze person von der störung durchsetzt und das verhalten geschieht in übereinstimmung mit ihrem charakter. er aber leidet offenbar unter seinem zwang, auch wenn er ihn nicht ändern kann.
du musst ja nicht sein leben teilen und ihn besuchen oder seine sachen regeln.
" Das ist doch eine fundamentale Haltung zum Leben! Wo ist denn da überhaupt noch Leben, Genuss, Leichtigkeit? Freiheit im Denken und im Handeln? Welche Wertigkeiten herrschen da vor? Was geht in so einem Kopf vor?"
diese fragen kann man sich aber gegenüber depressiven und angstpatienten auch stellen. wer psychisch krank ist, hat nicht besonders viel freiheit und lebensgenuss.
"Da ist doch Plunder wichtiger als andere Menschen, mich eingeschlossen! Was soll ich mit einem solchen Menschen noch zu tun haben wollen?"
ich weiß nicht, ob man das so sehen sollte. ursprünglich waren ja wohl die menschen wichtiger, doch mit dem plunder wird offenbar versucht, den verlust der ehefrau nicht wahr werden zu lassen. ich sehe ihn als schutz an, genau so wie eine amnesie z.b.
ich würde an deiner stelle nun erstmal an dich denken und dir etwas erholung nach den strapazen gönnen und danach vielleicht die beziehung auf gebieten außerhalb der wohnung weiter führen.
wenn er noch nicht pflegebedürftig ist, sieht das betreute wohnen so aus, dass ihm bei der alltagsbewältigung geholfen wird.
alles gute euch
und viele grüße
almut


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