Re: Kann es sein, daß Schlumpfine... ((M)Essies)

Schlumpfine, Donnerstag, 04.11.2004, 18:22 (vor 7119 Tagen) @ Helga-Maria

Liebe Helga-Maria,

ja, es ist wahr, dass ich erst vor einem guten Vierteljahr angefangen habe, meine Ernährung umzustellen.

Am 27.07.2004 habe ich den Film "Supersize ME" im Kino gesehen und war über die Informationen, die Morgan Spurlock dort darstellte, dermaßen geschockt, dass ich am selben Abend aufhörte, Zucker und Weißmehl, künstliche Aromastoffe und gehärtete Fette zu mir zu nehmen.

Um den Zusammenhang zu sehen, muss man wissen, dass ich dasselbe "Experiment", das Spurlock 30 Tage lang im Frühjahr 2003 machte, ohne ärztliche Aufsicht und ohne Kamera im April 1988 anfing - und ein Ende erst machte, nachdem ich den Film sah. Beim Betrachten des Films wurde mir schlagartig klar, dass ich die grauenhaften Symptome (zunehmender Esszwang bis hin zu mehrtägigen Non-Stop-Fressgelagen, stetige Gewichtszunahme von BMI 19 im April 1988 bis BMI 46 (=lebensgefährliche Fettleibigkeit) im Juli 2004, zunehmende Antriebsschwäche bis hin zu Depressionen mit Suizidgedanken, zunehmende Kopfschmerzen bis hin zu tagelangen Migräneattacken), die mich zuerst in eine ambulante Psychotherapie und später in einen sechswöchigen stationären Aufenthalt in einer Fachklinik für Psychosomatik getrieben hatten, durch dieselbe Kombination hochwirksamer Maßnahmen herbeigeführt hatte, mit der es dem Regisseur und Hauptdarsteller des Films in wenigen Tagen gelungen war, die Anfänge dieser Symptomatik zu erzeugen:

1.) Die zuvor regelmäßige körperliche Bewegung auf ein absolutes Minimum reduzieren.
2.) Täglich hochkalorisches, nahezu mineralstoff- und vitaminfreies Junk Food in steigenden Mengen verzehren.

Meine im Laufe der Jahre zunehmend verzweifelteren Versuche, die beängstigende Gewichtszunahme durch

3.) Hungerkuren

zu stoppen, waren ein weitere hochwirksame Maßnahme, mit der mein Stoffwechsel nachhaltig gestört und mein Körper, mein Geist und meine Seele immer weiter in die Esssucht hineingetrieben wurden.

Als Spurlock beschrieb, wie ihm die Zeiten zwischen den Mahlzeiten lang und länger erschienen, wie er immer öfter und zwanghafter ans Essen denken musste, wie er kurz vor den Mahlzeiten von Kopfschmerzen geplagt wurde (er sagte wörtlich: "Als ob mir die Augäpfel aus dem Kopf gezogen würden."), wie der Verzehr des Junk Foods statt der urspünglichen Übelkeit extreme Lustgefühle bei ihm auslösten, wie sein Libido ab- und seine Antriebsschwäche zunahmm und dazu die körperlichen Symptome nannte: Leberverfettung, rasante Steigerung sowohl seines Körpergewichts als auch seiner Blutfettwerte etc.) bekam ich im Kino Todesangst. Dieser Mann hatte das Experiment auf 30 Tage begrenzt - ich machte es seit mehr 16 Jahren!!!

Als ein Arzt, der von Spurlock interviewt wurde, in dem Film erzählte, dass der Stoff, mit dem er in der Notaufnahme Heroinabhängige von ihrem Trip herunterholt (weil diese Substanz, ohne einen Rausch zu erzeugen, im Gehirn dieselben Rezeptoren besetzt, an denen die Droge andockt), auch dazu führt, dass Schokoladensüchtige es schaffen, nach einem Riegel den Rest der Tafel liegenzulassen, brach ich in Tränen aus.

Liebe Helga-Maria,

erst mit dieser wahrhaft erschütternden Erkenntnis, dass ich eine körperliche Sucht habe, die mich ohne jeden Zweifel töten wird, wenn ich nicht auf der Stelle aufhöre, meinen Körper, meinen Geist und meine Seele zu vergiften, hatte ich die Kraft, den extrem schmerzhaften und strapaziösen Entzug durchzustehen.

Danach war ich neun Wochen lang clean.

Das heißt bei mir: Ich esse mich dreimal am Tag mit frischen, vollwertigen Lebensmitteln satt und bewege mich täglich mindesten 30 und höchstens 60 min (das erste Mal vor dem Frühstück) im Freien. Ich mache keinen Leistungssport - dafür bin ich immer noch viiieeel zu dick, das macht weder mein Herz-Kreislauf-System noch meine Gelenke mit. Ich gehe zügig zwei bis dreimal täglich mit unserem Hund [image] spazieren.

In diesen ersten neun Wochen nahm ich fast 10 kg ab.

Dann lebte ich zwei Wochen lang im Rückfall und nahm vier (!!! 4!!!) kg zu.

Davon habe ich dreieinhalb mit Hilfe einer akuten Magen-Darm-Infektion wieder verloren und zweieinhalb in den nächsten Wochen, d.h. in 14 Wochen habe ich meinen geschunden Körper - mit allen Aufs und Abs - von ca. 12 kg lebensbedrohlichem Übergewicht befreit.

In den letzten beiden Wochen (Herbstferien NRW) kam ich aus dem wohltuenden, regelmäßigen Rhytmus und mein Gewicht stagniert seitdem bei einem BMI von 41.

Erst wenn der BMI unter 40 ist, ist mein Körpergewicht "nur noch" [image] gesundheitsgefährdend und nicht mehr lebensbedrohlich.

Mit einem BMI unter 30 wäre das verbleibende Übergewicht nur noch ein kosmetisches, kein gesundheitliches Problem mehr. Von dieser Grenze bin ich noch ca. 30 kg entfernt.

Von meinem Normalgewicht (in meinem Alter BMI 22 bis maximal 26) trennen mich dann noch weitere 10 kg.

Ich schreibe Dir dies so ausführlich, damit Du nicht enttäuscht bist, falls Dein Körper sich nicht so rasant von Deinen üPf befreien mag. Möglicherweise sind Deine üPf "nur" hässlich und/oder gesundheitsgefährdend - und nicht akut lebensbedrohlich. Von solchen Pfunden trennt sich ein gesunder Körper möglicherweise nicht so zügig.

Selbst mein genesender Körper scheint, nachdem er sich von mehr als 11% seines Höchstgewichts befreit hat, jetzt erstmal eine Pause zu benötigen.

Weiter fragst Du nach den finanziellen Auswirkungen der Ernährungsumstellung.

Dazu kann ich wenig sagen. Meine Schwester ist Eigentümerin und Geschäftsführerin eines Bioladens. Alles, was sie Ihren Kunden in der kommenden Woche nicht mehr verkaufen mag, kann ich samstags nach Ladenschluss zum EK oder gratis mitnehmen. So komme ich tatsächlich günstiger an vollwertige Nahrung als an Junk Food - was mich nicht daran gehindert hat, dieses Angebot jahrelang zu verschmähen und mein Geld in Döner- und Pizzabuden, zu McDoof und Burger King, zum Chinesen oder Griechen zu tragen.

Auswärts essen war ich seit Juli noch genau viermal: Zweimal mit Klamotta bei einem Türken, der traditionelle anatolische Hausmannskost (Suppen, Eintöpfe und Schmorgerichte mit wenig Fleisch und viel Gemüse) in vorzüglicher Qualität anbietet, und wo ich mich darauf verlassen kann, dass kein Zucker in herzhafte Gerichte und keine künstlichen Aromastoffe irgendwo hineinkommen, sowie zweimal am Selbstbedienungs-Salatbüffet mit Steak bei Maredo.

Bis Ende Juli habe ich mehrmals pro Woche Geld für den Pizzadienst, die Imbissbuden o. ä. ausgegeben. Auch kosten Fertiggerichte (tiefgekühlt, als Würzmischung oder aus der Konserve) deutlich mehr, als unvermischte Fleisch-, Obst und Gemüsestücke, Gewürze, Milch, Vollkornmehl oder ähnliche Rohstoffe für selbstzubereitete und mir bekömmliche Speisen.

Für mich persönlich und unsere Familie kann ich also sagen: Wir verbrauchen deutlich weniger Geld für deutlich besseres Essen.

Mein GöGa und unsere Tochter meiden übrigens keineswegs Zucker und Weißmehl.

Beim Frühstück verspeisen die beiden nach wie vor genüßlich ihre Brötchen, ihr Graubrot und Toastbrot, ihre Nougatcreme und Marmelade, ihre Cornflakes, das Kind trinkt Kakao und für den Kaffee meines LiMa steht auch Zucker auf dem Tisch. Ich selbst esse 100%iges Vollkorndinkel- oder Roggenbrot aus dem Reformhaus oder Flocken (Hafer und Dinkel) mit Obst (frisch oder TK) mit Joghurt und/oder Milch und trinke meinen Milchkaffee (starker Bohnenkaffee oder Espresso mit viiieel Milch) wie seit eh und je ungesüsst. Damit weiche ich von Michel Montignacs Empfehlung ab und fühle mich wohl damit.

Wenn ich Nudeln koche, gibt es eben für mich Vollkorndinkelnudeln (die auch unser hiesiger SPAR-Supermarkt führt) und für die anderen weiße oder bunte Hartweizennudeln.

Im Gegensatz zur Montignac-Methode vermeide ich Kartoffeln nur, wenn sie außer Haus fritiert wurden (wegen des gehärteten Fetts in den meisten Backofenfrites bzw. Frittenbuden) oder zu undefinierbaren Fertiggerichten (Kartoffelpüreepulver in Tüten, TK-Kartoffel-Gemüse-Gratin in der Aluschale mit undefinerbarer Sauce, Krtoffelecken mit höchst verdächtigen Würzmischungen und gehärtetem Pflanzenfett als "Wedges" oder Chips o.ä.) verarbeitet sind. Pellkartoffeln oder Salzkartoffeln esse ich ebenso wie gekochte Möhren (Montignac lehnt beides ab) und bei uns gibt es auch Bratkartoffeln, Rösti und in reinem Sonnenblumenöl fritiertes Gemüse (Auberginen, Zucchini, Kohlrabi, Möhren, Paprika und/oder Kartoffeln). Auch betreiche ich gerne große Kartoffelecken mit gutem Pflanzenöl, würze sie mit Salz, Pfeffer und Paprika und backe sie im Backofen wie die fertigen Wegdes asl beilage zu Fleisch oder Fisch.

Ich zähle weder Kalorien noch Punkte noch achte ich besonders auf den Fettgehalt von naturbelassenen Lebensmitteln wie z. B. Nüssen, Oliven oder Avocados. Auch die Montignac'schen Trennkostregeln ignoriere ich vollkommen: Zu Rührei mit Lachs gibt es für mich selbstverständlich Brötchen, frisches Brot, Knäcke- oder Toastbrot (alles aus dem Reformhaus aus 100% Vollkorndinkel oder -roggen) und ich scheue mich auch nicht, zu den passenden Gerichten selbstgerührte Saucen wie Mayonnaise, Hollandaise oder Béarnaise zu reichen - die zu über 90% aus hochwertigem Fett bestehen und keinesfalls mit Mehl, Stärke oder anderen Mittelchen gestreckt werden. Interessanterweise sättigen diese frischgerührten Saucen viel schneller als die Fertig- oder Ersatzprodukte, die ich früher verwendete und die wesentlich weniger Fett, dafür aber Maisstärke, Mehl und Zucker enthalten.

Salate und Suppen aus frischem Bio- oder TK-Gemüse essen meine Lieben mittlerweile auch sehr gerne.

Liebe Helga-Maria,

ich weiß nicht, ob meine Ausführungen Deine Fragen beantworten konnten.

Deine Idee, erstmal eine Mahlzeit pro Tag nach der MM-Methode zu gestalten, wäre für mich selbst, die ich von bestimmten Substanzen körperlich und seelisch abhängig bin, nicht praktikabel. Ich muss sie vollkommen meiden, sonst bringen sie mich um - und das geht sehr schnell, denn daran fehlt bei mir nicht mehr viel. Ob es für Dich praktikabel ist, kann ich Dir demnach auch nicht sagen.

Wenn mein Verstand und meine Gesundheit in der Essucht untergehen, kriege ich so'n Öko-Fraß nicht durch den Hals. Es schmeckt mir nicht und ich nehme es nicht mal geschenkt.

Wenn ich clean bin - was bei mir nur nach einem schmerzhaften Entzg der Fall ist - schmecken mir die nahrhaften, frischen Lebensmittel ganz vorzüglich.

Ich brauche jetzt nichts anderes und kann neidlos zugucken, wie andere das Zeug genießen. Für meine Tochter ist ein Nutellabrötchen ein harmloser Genuß - für mich wäre der erste Bissen davon so tödlich wie Rattengift. Das habe ich aus meinem ersten Rückfall und dem zweiten, viel schwierigeren Entzug gelernt. Ich habe Angst, dass ich einen weiteren Rückfall nicht überlebe, weil ich den dritten Entzug nicht mehr durchstehen würde. So sieht es derzeit bei mir aus.

Mein BMI steht immer noch wie festgenagelt bei 41,0 und nur auf der zweiten und dritten Stelle hinterm Komma sind die minimalen Schwankungen (mal 100 g rauf, mal 200 g runter) wahrnehmbar.

Sei herzlich gegrüßt und berichte gerne, welche Änderungen Du probiert hast und wie es Dir bzw. Euch als Familie damit ging.

Liebe Grüße

[image] Schlumpfine


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