Re: Hast du einen Weg gefunden, dich gegen den Vorwurf ´faul´ zu wehren? (Allgemein)

Schlumpfine, Samstag, 08.11.2008, 21:16 (vor 5659 Tagen) @ MarLe

>Kirschblüte, du hast gefragt, Zitat:
[quote]<font color=greengras>>"..Hast Du einen Weg gefunden, Dich gegen den Vorwurf "Faul" zu wehren?"...</font color>
Ja und nein.
[/quote]

Liebe Marlene, liebe Kirschblüte,

mir kommt diese Zuschreibung wie eine Variante des "Ich bin zu dick"-Wahns vor, der fast alle Frauen in unserem Kulturkreis umtreibt.

"Du bist zu .
... fett
... faul
... blöd
... ...."

sind spezielle Formen der allgemeinen Aussage

"Du bist nicht gut genug."

bzw. ihrer Variationen

"Du bist nicht weiblich/bzw. männlich genug." oder "Du bist nicht liebenswert.".

Diese Urteile treffen uns immer dann existenziell in unserem Selbstwertgefühl und nagen an unserer Lebensfreude, wenn wir tiefinnerlich davon überzeugt sind, dass diese bösartigen Abwertungen wahre Aussagen seien.

Was sie selbstverständlich nicht sind.

Solange eine einwandfreie Haushaltsführung und ein schlanker Körper anerkannte Attribute von Weiblichkeit sind, bestimmen die Werbefuzzis von Procter&Gamble, Henkel, Du darfst, Weight Watchers & Co., welche Frau weiblich genug ist. Das verspricht dauerhaft fette Umsätze für alle Beteiligten und ein endloses Rennen im Hamsterrad der sich stetig verschärfenden Ansprüche für die Zielpersonen.

Wahre Aussagen - bezogen auf mein Arbeitstempo oder meine Figur - könnten sein:

"Ich hatte gehofft, dass du damit fertig bist, wenn ich komme." oder "Mir fällt diese Arbeit leichter als dir. Ich verstehe gar nicht, warum du damit Probleme hast." bzw. "Diese Hose passt Ihnen nicht. Sie ist zu eng." oder "Bitte verlassen Sie die Gondel, der Sicherheitsbügel lässt sich nicht schließen."

Wenn ich innerlich davon überzeugt bin, als nicht-perfekte Hausfrau oder nicht-schlanke Frau nicht liebenswert, nicht gut genug und nicht weiblich genug zu sein, werden mich auch die wahren Aussagen der zweiten Kategorie bis ins Mark treffen. Wenn ich davon überzeugt bin, dass ich selbstverständlich liebenswert, gut genug und weiblich genug bin, kann ich auch die Aussagen nach dem ersten Muster "Du bist zu ..." bei dem lassen, der sie ausgesprochen hat. Und sie nicht als existenziellen Angriff, sondern als persönliche, relativ unmaßgebliche Meinungsäußerung wahrnehmen.

Solche persönlichen Meinungsäußerungen kann ich dann wohlwollend prüfen, ob die Wahrnehmung des anderen vielleicht nützliche Informationen für mich bergen:
Dass es möglicherweise sinnvollere Wege geben könnte, sich dieser oder jener Arbeit zu widmen, als die Art und Weise, wie ich sie bisher verrichtet habe.
Oder dass es wahrscheinlich für meine Gesundheit und mein Wohlbefinden hilfreich wäre, ein paar Kilo weniger zu wiegen und mich mehr zu bewegen.

Der Schlüssel dazu, wie zerstörerisch oder wie hilfreich solche Aussagen bei mir ankommen, ist und bleibt die nicht nur von Odille stetig beschworene Selbstliebe als grundlegende innere Haltung.

Ist meine Selbstliebe robust und gut verwurzelt, kann ich die taktlosen und abwertenden Bemerkungen ungezogener Zeitgenossen sowie die subtilen Suggestionen der Werbebranche wahlweise als Hinweise auf die mangelhafte Kinderstube der einen bzw. die Professionalität der anderen in der Kunst, Menschen und Meinungen zu manipulieren wahrnehmen. Und das eine wie das andere abperlen lassen, wie Wasser von Butter.

Ist meine Selbstliebe angeschlagen und kaum wahrnehmbar, sauge ich solche bösartigen Zuschreibungen auf wie ein Schwamm und nehme sie als weitere "Beweise" meiner Wertlosigkeit.
Dann kaufe ich das Produkt, dass mir Schlankheit, mühelose Sauberkeit und Ordnung, gesunde, glücklich Kinder und eine liebevolle Beziehung verspricht.
Oder ich suche mir einen Menschen, der mir noch schmutziger, fetter, fauler, blöder etc. - also noch wertloser - als ich vorkommt und richte an diesem Vergleich meine ramponierte Selbstachtung wieder ein wenig auf. So wie es der "Du bist faul!"-Sager vorher mit mir gemacht hat.
Auf jeden Fall suche ich weiterhin außerhalb meiner Selbst nach Erleichterung und Entlastung von der Qual fehlender Selbstliebe - statt in mir nach der Wahrheit: "Ich bin gut genug, weiblich genug und liebenswert. Ganz gleich, wieviel oder wie wenig ich wiege bzw. wie lange ich für den Abwasch brauche oder wer meine Kleidung bügelt."

Liebe MarLe, liebe Kirschblüte, in diesem Sinne danke ich euch herzlich für euren Anlass zur Selbstbesinnung.

glg Schlumpfine


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