Re: Liest hier noch jemand mit? (Angehörige)

Bea, Montag, 18.04.2005, 18:52 (vor 6954 Tagen) @ wiesel

Hallo Pascal.
Du fragst, ob hier noch jemand mitliest: und ob!
Fast jeden Tag schaue ich hier rein, um zu sehen, ob es noch jemanden gibt, dem es so mit seinem Mann geht, wie mir.
Und jetzt hast Du geschrieben. Der Text könnte 100-prozentig von mir stammen: Genauso geht es mir auch.
Bisher haben hier immer Angehörige geschrieben, deren Eltern oder Kinder so schlampig waren oder die ihre Partner verlassen wollten, wobei diese Schicksale ähnlich schwer sind. Aber Dein Schicksal ist genau meins.
Bei meinem Mann herrscht auch die Devise: Was? Der Aschenbecher ist voll? Na, dann stellen wir doch noch einen daneben! Oh, da stehn ja schon drei volle! Macht nichts, stellen wir ihn auf den Berg mit den ungeöffneten Briefen.
Nach langen Diskussionen darüber, dass leere Quarkschalen und Katzenfutterdosen in den Müll gehören und nicht auf der Küchenarbeitsfläche gesammelt werden sollen, ist er inzwischen manchmal schon soweit, den Müll wenigstens in Richtung des Mülleimers zu schmeißen, getragene Socken in Richtung des Wäschekorbes! Welch Fortschritt. Seine Stiefel, Hausschuhe und Jacken bleiben grundsätzlich in der Mitte des Wohnzimmers liegen, wenn er nach Hause kommt, solange, bis er wieder geht.
Wenn ich von der Arbeit komme, muß ich immer erstmal aufräumen, die Zimmer, in denen er war, sind flächendeckend vermüllt. Alles, was er im Laufe der Tages benutzt,bleibt genau dort liegen, wo er es nicht mehr braucht, und sei es mitten im Flur. Schränke, Dosen, Schubladen werden nie mehr geschlossen, wenn er etwas entnimmt.
Er selbst leidet überhaupt nicht darunter. Nur ich.
Das einzige, was ihn stört, ist mein Aufräumen. Obwohl ich schon gar nichts mehr sage, weil ich in den 14 Jahren unseres Zusammen"lebens" die Hoffnung auf Besserung bei ihm begraben habe, gucke ich doch bei meiner täglichen Aufräumfron etwas unglücklich. Und das, dieser unausgesprochene Vorwurf, nervt ihn halt.
Mir geht es genau wie Dir: Ich will ihn nicht verlassen, weil ich ihn immer noch liebe wie am ersten Tag. Manch einer denkt jetzt vielleicht, ich sei masochistisch veranlagt. Bin ich aber nicht. Ich sehe eben immer noch den absoluten Ausnahmemann in ihm in jeder anderen Hinsicht: charakterlich, geistig, menschlich >Ordnung ist nun mal nur eine Nebensache, das sage ich, obwohl ich wohl das bin, was in diesen Foren als Cleany bezeichnet wird.
Aber auch Nebensachen können einen zermürben.
Und mir geht es wie Dir: Oft bin ich so entmutigt von der immer wiederkehrenden Schlampigkeit im Haus, dass ich auch alles liegen lasse und Depressionen habe. In letzter Zeit leide ich auch unter der Angst, zwangsweise zum Mitmessie zu werden, weil mich oft die Kraft verläßt. Derjenige, der alles vermüllt, sitzt kräftemäßig eben am längeren Hebel, es ist viel einfacher als aufäumen.
Ich wäre sehr froh, wenn wir in einen Gedankenaustausch treten könnten. Zum Thema: Wie kann ich mein Schicksal annehmen, ohne Schaden zu nehmen?, gibt es keine schnelle Antwort. Sonst hätten wir sie in unserer Verzweiflung schon gefunden.
Mach´s gut, Pascal, alles Liebe
Wiesel

Hallo Wiesel,

14 Jahre - uff! Wieviel Kraft das kosten mag. Depressionen und Resignation sind da kein Wunder. Ändern wird sich jedoch nichts, solange Ihr Mann nicht einsieht, dass er ein Problem hat. Hat er nach seiner Meinung auch nicht, weil er sich mit der Situation wohl fühlt. Dass Sie sich nicht damit wohlfühlen, nervt ihn leicht am Rande (aber nur, weil Sie es ihm zeigen). Es interessiert ihn nicht wirklich. So ist das mit Suchtkranken und Messie-Tum hat durchaus Ähnlichkeit mit einer Sucht. Solange der Süchtige jedoch keine Veranlassung sieht, sein Verhalten zu ändern (weil es ihm nicht schadet), wird er auch nichts tun. Die Umwelt ist ihm dabei völlig egal, so gefangen ist er in seiner Krankheit. Man mag dies durch liebevolles Verständnis mittragen oder gehen. Die Einsicht und die Veränderung kann nur durch den Süchtigen selbst erfolgen. Er wird nicht aus Liebe oder Rücksicht auf Ihre Gefühle etwas ändern. Davon konnten Sie sich 14 Jahre lang überzeugen. Ich habe 8 Jahre gebraucht, um zu verstehen. Sie können folgendes für sich tun: ziehen Sie aus. Lassen Sie ihn nicht hinein in die neue Wohnung, außer zum Kaffee. Treffen Sie sich für schöne Dinge auf "neutralem" Boden und lassen Sie ihn in seinem Chaos. Er ist dort glücklich. Die Beziehung braucht man nicht zu beenden, Abgrenzung ist jedoch lebensnotwendig, weil Sie die Pflicht haben, für sich zu sorgen, sich zu schützen und Ihre Grenzen, die er schon seit 14 Jahren mit Füßen zu treten scheint (allerdings nur, weil Sie es ihm ermöglichen). Das sind harte Worte, aber ich glaube, sie sind realistisch. Wie auch immer Sie sich entscheiden, ich wünsche Ihnen alles, alles Gute, viel Kraft und Entschlossenheit, um aus diesem Elend herauszukommen.
Gruß Bea


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