Re:Meine Betrachtungsweise (mega lang) (war:Hilfe!!) (Angehörige)

MarLe, Mittwoch, 17.08.2005, 05:21 (vor 6833 Tagen) @ Baerbel

Liebe Baerbel,
muss dir zu Beginn sagen: Ich bin Messie.
(und ich bin Mutter)

Habe nun lange über deinen Hilferuf nachgedachtSchreibe dir jetzt, weil mir viele Gedanken durch den Kopf laufen,
und weil ich hoffe, dir etwas zu geben.

Ich berichte über meine Erfahrungen.
Kennst du das?
‚Das Gegenteil von Gut ist gutgemeint’ ?
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MIR ist mehrfach geholfen worden!
(Fühlt sich für mich gerade nicht gut an.)
Und ich muss es (für mich schon allein) erklären:
Nehme dazu den letzten Vorfall, (ansonsten würdest du Tage lesen *grins)

Meinen Haushalt hatte ich nicht im Griff.
Haushalt, dass war eine Ehemann der entweder arbeitete, oder zum schlafen nach Hause kam. (nichts mit Hithilfe)
3 Kinder.
Einen großen Garten, in dem ich Gras mähte, Hecken schnitt, Blumen-, Obst- und Gemüseanlagen pflegte.
Einen Vorgarten, der in Ordnung gehalten wurde.
Rundherum Gehwege (die gekehrt und geräumt werden mussten, sag nur Hauptstraße UND Lindenbäume!)
Einkauf zu Fuß (wir wohnten da außerhalb der Stadt !)
Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte, waschen, kochen –ernährungstech. Wertvoll! usw.
Das waren nun alles Sachen, die ich schaffte!
Nicht schaffte ich: alles aufgeräumt zuhalten! Oft war ich einfach nur noch k.o.
Bügeln – schaffte ich kaum beizubehalten! Kinderzimmer, Wohnzimmer aufräumen?

Mein Mann, ich und unsere Kinder hatten einen 2wöchigen Urlaub geplant.
Das Geld war äußerst knapp, Lebensmittel nahmen wir mit,Und mit 3 Kindern (damals) unter 10 Jahren ist die „Vorbereitungsphase“ nicht einfach.
Der „normale“ Tagesablauf, all dass erledigen, was ich o. b. habe UND noch zusätzlich alles aufräumen. Ich arbeitete ohne Unterlass, es war aber einfach nicht zu schaffen. Ich hatte nur 2 Hände und 10 Arme schafften Unordnung!
Meine Mutter bekam den Schlüssel und sollte Post hereinholen und Blumengießen!
(So war es vereinbart !! )
Wir fuhren weg und ich hatte den Urlaub mehr als nötig !

Als wir zurückkehrten kamen wir in eine saubere aufgeräumte Wohnung.
Soweit so gut.
Natürlich habe ich mich (erst mal) nur einfach gefreut.
Ich bin durch alle Räume gelaufen.
ALLES war sauber und aufgeräumt !
Sogar ein neuer Gasherd stand da.
(der Backofen war kaputt gewesen, schon seit längerem, aber wir hatten nicht das Geld für einen neuen!)
Die alte Eckbank war neu bezogen – leider wieder mit Stoff.
(mit Kleinkindern ist eine Eckbank mit Stoffverkleidung einfach ..total unpraktisch)
Es war vereinbart, dass wir gleich nach der Ankunft zu ‚Oma und Opa’ fahren.

Ich war glücklich ! Einfach nur glücklich !
Urlaubsstimmung, eine wundervolle Wohnung, einen neuen Gaskochherd !
Kann die Welt schöner sein??

Im Laufe unseres Besuches bei meinen Eltern aber, erfuhr ich viele ‚kleine’ Details,
so z.B.:
Das sie den alten Gasherd OHNE sauberzumachen zum Sperrmüll gestellt hatten.
(Ich habe danach mal den Sperrmüll beobachtet – es scheint wohl so üblich zu sein,
als Messie habe ich aber immer das Gefühl, dass mit so etwas ich auffalle,
d. h. die Nachbarn stellen daran fest: „Boah, ist das eine Drecksau“. – Ich hätte ihn blitzblank geschrubbt, EHE ich ihn entsorgt hätte!)
Sie hatten die ganzen 14 Tage für Ihre Aktionen gebraucht!
Waren jeden Tag in meiner Wohnung gewesen !
Mutter, Vater und Schwester !
Sie trugen Müll raus. Nahmen Sachen mit nach hause, um sie in ihrem Müll noch mit zu entsorgen !
Sie trugen in Müllsäcken die Wäsche heraus und kamen (am helllichten Tag) mit offenen Wäschekörben (schön gewaschener und gebügelter Wäsche) wieder zurück.
Sogar Spül hatten sie in Wäschekorb raustransportiert und zurückgebracht, OBWOHL ich eine kleine Spülmaschine besaß – aber ihre war eben großer und es ging schneller !
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Ja und? Was will ich nun sagen?

Ich schrieb ja oben schon: ich war glücklich im ersten Moment!
Nicht mehr, als ich erfuhr, wen sie alles getroffen hatten, mit wie vielen Nachbarn sie gesprochen hatten usw.
Glaub mir, Nachbarn mögen nicht sehen, wenn vor ihrem Fenster eine Schlägerei statt findet, aber diese tagelangen Aufräum- und Rausschleppaktionen haben die ganz genau beobachtet.

Ich kam nach Hause.
1 ganze Woche lang versuchte ich, den Haushalt im Griff zu behalten
ABER auch, nicht vor die Tür zu gehen!
Ich behielt die Kinder in der Wohnung (es war schlechtes Wetter, also nicht sooo tragisch)
Ich ging 10 Min. vor Geschäftsende einkaufen, damit ich a) keinen Nachbarn sah und b) keine Zeit hatte mit irgendwem reden zu müssen.
Geld holte ich nachts nur noch am Automaten, weil ich da sicher war, niemanden zu sehen!
Die Eckbank war wieder mit neuem Stoff überzogen, da Leder oder Kunstleder einfach zu teuer waren – sie sah zwar gut aus, aber eben noch !
Ich hatte es schon vorher nicht geschafft, sie öfter als 3x im Jahr grundzureinigen.

In der 2. Woche legte ich mich ins Bett und beschloss, nicht mehr auf zu stehen!
Ich muss dir wohl nicht erzählen, wie der Haushalt langsam wieder den Bach runter ging, ein Mann, der kaum Zeit hat, 3 Kinder die nur notdürftig versorgt wurden, keine Kontakte mehr zu irgendwem.

Es ging mir schlecht ! Es ging mir total schlecht !
Ich habe mich nicht nur geschämt, dass war zu wenig.
Wenn sich der Boden aufgetan hätte, wäre ich hineingesprungen, ohne auch nur einen weiteren Gedanken zu fassen !

Als ich wieder zu mir kam (ja, das ist genau der richtige Ausdruck)
Fing ich an, mein Leben wieder anzupacken.
Langsam kam wieder Lebensmut und –Freude zurück und auch wieder Kraft.
(Für den Haushalt war es längst wieder zu spät!)
Noch später (und gestärkter) traute ich mich wieder raus aus meinem Bau.
Z.B. zum Wäsche aufhängen.
Ich brauchte viel, viel Kraft dazu, denn prompt erschienen auch wieder Nachbarn und drängten Gespräche auf.
z.B. Darüber, dass die alten Leutchen jeden Tag bei mir waren.
Darüber, wie mein Vater den Garten versorgt hatte und den Abfall mitgenommen hat.
Darüber, wie meine Mutter wohl gebügelt hat usw. usw.

Was ich empfand? Wut ! Ärger!
Ich habe mich klein und unfähig gefühlt !
UND ich wusste, wie sehr sich das Maul zerrissen worden war.
Mir war klar, dass meine Eltern (+Schwester) für sich daraus etwas gezogen hatten,
NÄMLICH Lob, Anerkennung, Wertschätzung usw.
Die andere Seite war die, dass SIE diese Dinge erhielten, WÄHREND gleichzeitig MIR sie entzogen wurden!
Kannst du dem noch folgen??

Ein halbes Jahr später habe ich mit allen beteiligten Familienmitgliedern darüber gesprochen und mir so was für IMMER vorboten.
Seither haben sie keinen Schlüssel mehr im Urlaub erhalten !
Das Vertrauen war dahin.
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Was du nun nicht weißt:
Ich liebe meine Mutter, meinen Vater und meine Schwester!
Es war, im nachhinein betrachtet, von ihnen eben „nur“ gut gemeint!
Es war ihnen überhaupt nicht klar, dass sie damit Grenzen übertreten,
und zwar MEINE !
Sie haben viel Kraft, Zeit, Arbeit und letztlich auch Geld investiert um mir eine Freude zu machen, um mir zu helfen!
Einer meiner Grenzen war / ist : Scham
Hätten sie diese Grenze, zumindest die, beachtet, dann hätten sie die Aktion so heimlich und unauffällig gemacht, dass eben niemand anderes etwas bemerkt hätte!
Für mich war die Gradwanderung zwischen
Ich liebe sie – und sie haben es nur gut gemeint ------------zu------------
Es war nicht gut, nicht für mich !
Körperlich schmerzhaft !

Ich hätte mir Hilfe gewünscht ! Ja!
ABER nach meinen Regeln!
Und hätten sie mir zugehört, dann hätten sie mir (immer) helfen können.
Ich hätte mir gewünscht, wenn wir z.B. mal zusammen gebügelt hätten, eben Unterhaltung dabei.
Oder wenn sie mich besucht hätten, egal, ob aufgeräumt oder nicht und ohne demonstrativ etwas wegzuräumen.
Wenn mein Vater mir z.B. mal geholfen hätte, ich den Rasen, er die Hecken.

Verstehst du?
Hilfe – aber selbstlos!
Ohne dafür etwas zu erwarten. (auch nicht von anderen! Ich rede gar nicht von den Nachbarn meiner Eltern !)
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Noch ein Beispiel?
Sie haben sich mal mein Kind (damals nur eines) zum spazieren gehen geholt.
Mir die Auflage gemacht, damit ich was im Haushalt mache / schaffe.
Ich habe Wäsche gewaschen (im Keller) aufgehangen (im 3. Stock auf dem Dachboden)
Aufgeräumt, gebügelt –
Nach einer Stunde kamen sie zurück.
Ich war schachmatt!
Der 1.Kommentar: „Was hast du denn die ganze Zeit getan? Geschlafen?“
Der Clou des Ganzen, meine Tochter hatte die ganze Zeit über geschlafen und ich durfte mich bis morgens um 5 mit meinem wachen Töchterchen beschäftigen!
Ich habe solche Hilfe abgelehnt!
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Deine Tochter hat einen sehr stressigen, schlecht bezahlten Job.
Er erfordert viel Hingabe und viel Nervenkraft!
Mehr als man sich als ‚Kranker’ vorstellen kann.
Viele Messies sind in helferischen Berufen tätig !
Wir sind auch sehr kreativ.
Oft sind wir gute „Fühler“ , Denker und äußerst hilfsbereit.

Das sind Eigenschaften, die es auch mal gilt zu loben !
Anzuerkennen!
Von meiner Mutter habe ich mir immer „nur“ Anerkennung gewünscht.
Ich machte vielleicht vieles anders als sie, aber schlechter?
Ich war niemals faul !
Und auch nicht unordentlich! (wenn jemand einen Löffel verkehrt herum legt, bekomm ich fast einen Koller)
ABER ich wollte es Perfekt !
Und wenn es nicht perfekt ging, dann ging es oft gar nicht.
Das Kinderzimmer aufräumen und alles durcheinander in eine Kiste werfen?
Nein, entweder alles richtig aufgeräumt, an seinem Platz, in seiner Kiste – oder eben gar nicht !
Richtig – oder gar nicht !
Außerdem wollte ich LEBEN und nicht den ganzen Tag NUR alles noch mal und noch mal machen. Den anderen den A** hinterher tragen.
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Ich habe gelernt:
‚Ich bin für mich und mein Handeln verantwortlich !’

Deine Tochter ist volljährig, SIE ist für sich und ihr Handeln verantwortlich.
Du nur für dich, bzw. deines!

Gute Freunde, Nachbarn, Vermieter, das Umfeld eben,
kommen immer wieder und versuchen jemanden (mir ! Dir?)
einzureden: „Das ist doch deine Tochter“ o. „Kannst du da nicht mal was machen?“
„Oder du bist doch für sie verantwortlich“

NEIN !

Als ich mein erstes Kind in den Kindergarten gab, habe ich geheult!
Geheult, weil mir schlagartig klar wurde, dass nichts so sein wird wie bisher.
Bisher hatte ich die volle Kontrolle!
Ich wusste wann sie wo war, ich saß dabei, wenn im Sandkasten gestritten wurde, und konnte schlichten. Ich wusste alles.
Das ist MACHT.
Na ja, ich hatte schließlich die ganze (volle) Verantwortung und nun, mit 3 Jahren,
hatte ich diese nicht mehr.
Keine volle Verantwortung – aber auch keine Macht mehr.
Mir wurde klar, ab jetzt hat sie ein Eigenleben! Sie hat Geheimnisse! Erlebnisse!

Für unsere Kinder haben wir Verantwortung – und sie schrumpft, je älter die Kinder werden.
Es ist ein Lernprozess und auch ein Prozess des Loslassens!
Hundemuttis verstoßen ihre Welpen nach einer gewissen Zeit –
Und die Welpen verlieren ihre Mutterprägung. Sie erkennen ihre Mutter als solche nicht wieder. (sondern nur als anderen Hund)

Kannst du deine Tochter als Mensch nehmen.
Als langjährige Freundin?
Kannst du sie (so wie sie ist) akzeptieren?
Und wenn du es schaffst, sie als eigenen Menschen hinzunehmen,
kannst du sie respektieren?
Respekt haben, ihr spüren lassen, ihr sagen, dass du nicht alles weißt und kannst?
Das du auch sie brauchst?
Kannst du über deinen Schatten springen und sie für etwas loben, dass sie anders als du macht, aber vielleicht mit dem gleichen Ergebnis?
Kannst du ihr einfach nur Anerkennung geben?

<font color=chocolate>Du machst dir Sorgen !</font color>
o.k. – aber es geht dich nichts an.
<font color=chocolate>Sie hat eine Berufsausbildung, einen Job. </font color>
o.k. – sei einmal richtig stolz auf sie und sage es ihr ruhig mal.
Laß dir mal von ihrer Arbeit erzählen und vor allem höre nicht nur hin, SONDERN zu !
<font color=chocolate>Das Auto. </font color>
OK – aber es ist IHRES !
<font color=chocolate>Schlafen & essen: </font color>
Ihr Ding ! – da kannst du ihr vielleicht anbieten für sie zu kochen.
Bedenke aber, ob das für dich in Ordnung ist – wenn nicht, dann lass sie auch da ihren Anteil an Verantwortung zu IHREM Leben lernen.
<font color=chocolate>Keinen Heranlassen: </font color>
..mhmmm...., woran? Sie hat eben ihre Geheimnisse!
Ihr müsst nicht alles wissen.
Oder meintest du eher: ‚keinen hereinlassen in die Wohnung?’
<font color=chocolate>Heimlich Wohnung inspiziert (wir): </font color>
Ich denke mal, du meinst du und ein Mann.
Vielleicht könnte sie es noch verkraften, wenn DU das getan hättest, aber in der Gemeinschaft, quasi als Verbündete??? – da hast du viele Grenzen verletzt!
OK. Ist das nicht, dass weißt du ja auch.
Ist, als ob du ihr Tagebuch gelesen hast !
Wenn sie es erfährt, wird sie sich niemals wohl fühlen, keinen Rückzugsort haben.
(Bedenke mal, wenn bei dir eingebrochen würde, alles liegt neben den Behältnissen, Unterwäsche, Unterlagen alles – würdest du dich jemals wieder wohlfühlen, zuhause? Sicher?)
<font color=chocolate>Wohnungszustand: </font color>
Zitat: „Das Äußere ist das sich offenbarende Innere.“ Friedrich Schiller

<font color=chocolate>Wer kann mir einen Rat geben? </font color>
Dein Bauchgefühl !
DU hast jemand zur ‚Wohnungsbesichtigung’ mitgenommen – warum?
Um dich austauschen zu können? Um jemanden an deiner Seite zu wissen?
Frag denjenigen doch mal, was ihm zuerst aufgefallen ist ! Da werdet ihr schon Unterschiede zu einander erkennen.
d. h. Jeder hat eine Andere Vorstellung, Meinung, Wahrnehmung.
Du hast Macht übernommen.
Der Andere Verbündete dient DIR zu deinem Wohlfühlen, zum Absegnen, für die Absolution deiner Handlung?
Nun überlegst du, wieweit du Verantwortung für deine Tochter tragen musst / darfst / sollst ?
Wenn ein Kind laufen lernt – muss man sich als Mutter manchmal einfach zurückhalten, oder wegschauen, damit es selber lernt und man nicht sofort zur Hilfe eilt.
Dein Kind lernt das Leben !

Du kannst ihr zuhören,
du kannst ihre Freundin sein / bleiben / werden.
Du kannst ihr kleine Tricks verraten.
Du kannst ihr DEINE Schwächen mitteilen (auch Mütter sind nicht unfehlbar)
Du kannst da sein, wenn sie dich braucht.
LEBEN muss sie jedoch alleine und auch wenn sie hinfällt, aufstehen muss sie alleine!

Ganz liebe Grüße
Marlene
P.S.: Entschuldige die Länge. Ich brauchte das für mich.
P.S 1: http://rumpelstilz.net/aa/loslassen.htm
P.S.2: Habe mir beim Nachdenken (dieser Tage) mein Poesiealbum rausgesucht.
Meine Mutter schrieb damals hinein:
Zum Geleit:
„Arbeit und Fleiß sind niemals eine Last,
sie sind das Beste unseres ganzen Lebens.
Ein jeder, der die Arbeit scheut und haßt,
der lebt auf dieser Erde hier vergebens.
Die schönsten Früchte bringt hervor der Fleiß,
dadurch kommt jedermann im Leben weiter.
Drum sei die Arbeit deines Lebens Preis,
denn sie alleine macht dich froh und heiter.“


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