Re: Wie helfen? (lange Antwort) (Angehörige)

Janna, Mittwoch, 21.02.2007, 10:42 (vor 6285 Tagen) @ shanna

Hallo Shanna,

erst mal vorneweg: Ich bin - genau wie die anderen hier - KEINE Psychologin und schreibe nur aus eigenem Erleben / Beobachtung / Erfahrung als Messie und mit meinem Messie zusammen-Lebende. Bitte nimm die Aussagen im Forum also nicht als ultimative Weisheit und Verhaltensvorschrift!

Wenn ich Deine Schilderung lese, kommen mir mehrere Dinge in den Sinn:

1. Der Bekannte scheint in einer Art (kindlich trotzigen) "Verweigerungshaltung" leben.
Wenn man (ich benutze jetzt einfach mal das unpersönliche "man") als Kind viel unter Zwängen gelitten hat, es immer hieß: "Du musst", "das tut man nicht", "lass das", "verhalte dich angemessen", möchte man irgendwann daraus ausbrechen. Das kann man meistens erst, wenn man von zuhause auszieht, und manche Menschen treiben diese Verweigerungshaltung dann bis zum Exzess.

Jeder noch so gut gemeinte Ratschlag und jedes Hilfeangebot wird verstanden als "da will mich jemand in ein Schema pressen / da will mich jemand zu einer Handlung zwingen ..." und der Trotz bzw. die Verweigerung greift wieder (möglicherweise sogar noch eine Stufe stärker als vorher, denn man muss sich ja gegen jeden Zwang wehren ...)

Dein Absatz: Er ist nicht depressiv, er hat nur keine Lust, sich mit alltäglichen Dingen auseinanderzusetzen, aufräumen hält er für Zeitverschwendung, und wenn er sich überhaupt verbal auf das Thema einläßt, sagt er das ist ihm alles zuviel, er weiß nicht wo er anfagen soll, und nach 5 Minuten hat er von solchen Aufgaben "die Schauze voll und keinen Bock mehr". spricht m.E. für diese Verweigerungshaltung.

2. Der Mann hat sich eine sehr bequeme Haltung ausgesucht - um nicht zu sagen: Er hat die Freundin ausgenutzt!
Die Freundin betrieb den Internethandel, er tat nichts.
Würde jetzt jemand kommen, ihn sozusagen "beim Händchen nehmen" und ihm die Wohnung aufräumen und in Ordnung halten würde ... klasse ... das würde er vermutlich annehmen (und seinen Lebensstil danach dennoch weiter aufrecht erhalten). Doch selbst aktiv werden, ... (hm, schweigen wir darüber ...)

3. Es könnte hinter seinem jetzigen Lebenswandel trotz aller Verweigerung auch eine Depression stecken (die er sich natürlich nicht eingestehen will - die Tatsache, dass jemand Hilfe oder einen Psychodoc braucht ist für viele Menschen so schlimm, dass sie eine solche Aussage vehement ablehnen). Diese (eventuelle) Depression resultiert möglicherweise auch aus Überforderung (mittlerweile dürfte ihm der Zustand der Wohnung und die Klagen der Kunden über den Kopf gewachsen sein).
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Du fragst:
Wie kann ich ihm helfen, bzw. ihm klarmachen, das er sich so über kurz oder lang im schlimmsten Fall ins Gefängnis manövriert? Wie kann ich ihm begreiflich machen, das er ein sehr ernstes Problem hat, wenn er überhaupt nicht sehen will, das er ein Problem hat?

Es ehrt Dich, dass Du ihm helfen willst.
Doch Hilfe leisten darf NICHT dazu führen, dass Du dann auf der Strecke bleibst.

So lange er nicht selber einsieht, dass er Hilfe braucht, wirst Du imho gegen taube Ohren reden und Dich selbst dabei aufreiben.
Möglicherweise ist sein Leidensdruck noch nicht groß genug, Du schreibst sieht er aber nciht so, sondern er sieht sich als Opfer), Er gibt sich immer irgendwie überheblich, so als wäre in in der Position, das sich die Leute gefälligst bei ihm entschuldigen, ihm gefälligst nicht auf die Nerven fallen usw.
was dafür spricht - oder eben, dass er sich dermaßen in diese Verweigerungshaltung reinmanövriert hat, dass er nicht mehr aus eigener Kraft rauskommt.

Ich denke, ganz wichtig ist, wie es DIR dabei geht. Wie gesagt: bei aller Hilfsbereitschaft ist nötig, dass es Dir weiter gut geht, dass Du Dich nicht aufreibst oder ausnützen lässt.

Vielleicht ist es ein bisschen wie bei der Kindererziehung ... das Kind (in Deinem Fall den Bekannten) machen zu lassen, obwohl man weiß, dass es einen Irrweg eingeschlagen hat. Beobachten, (natürlich leiden die Eltern mit, wenn sie sehen dass ihr Kind leidet) und dennoch nicht eingreifen.
Aber bereit sein, wenn das Kind zurückkommt und es dann auffangen und unterstützen.

Wobei imho eine Unterstützung nur in die Richtung gehen darf, dass Hilfe zur Selbsthilfe gegeben wird - also Tipps fürs Aufräumen und das Regeln der Geschäftsangelegenheiten, evtl. auch mal zeitweise mit anpacken - doch dann ihn wieder alleine machen lassen. ER muss es lernen und üben - Du weißt ja, wie in Deinen Augen sinnvolles Aufräumen aussieht!

Und wichtig ist meiner Meinung nach, dass Du immer wieder schaust: Wie geht es MIR damit? Bin ich mit mir selbst im Einklang, wenn ich das jetzt tue?

Denn es geht nicht nur um den Bekannten - es geht zuallererst mal um DICH!
Nur wenn ich mir selbst ein guter Freund bin und gut FÜR MICH sorge, kann ich anderen ein Freund und eine Unterstützung sein.

Ich wünsche Dir viel Kraft sowie weise und für Dich persönlich passende Entscheidungen.

Viele Grüße
Janna


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