Leidensfähiger Ehemann? Nein, überhaupt nicht. (lang) (Angehörige)

Schlumpfine, Samstag, 13.07.2002, 23:12 (vor 7929 Tagen) @ Anneliese

Liebe Anneliese,

da mein Mann nicht weiss, dass ich hier schreibe, kann er Dir hier auch nicht antworten.

Er kommt aus einem sehr gepflegten Haushalt. Die beste SchwiMu von allen ist eine Cleanie wie sie im Buche steht. Im Vergleich zu seiner Mutter hat mein Schatz sich immer als Schmutzfink, Chaot und Schlamper gefühlt, auch wenn sie ihn deshalb nicht gemaßregelt hat. Wofür ich sie morgens und Abends inmiene Gebete einschließe, ist die fröhliche Gelassenheit, mit der alle ihre drei Kinder an notwendige Arbeiten herangehen.

Im Vergleich zu mir fühlt mein Schatz sich stark, sauber, leistungsfähig und gut organisiert. Das ist Balsam für seine Seele. Auch findet er nicht, das es ihm geschadet hat, herauszufinden, dass man morgens nicht totkrank im Bett liegen bleibt, wenn man abends in einem ungemachten Bett einschläft. So wenig wie ich auf Nimmerwiedersehn von der Toilette verschlungen werde, wenn ich mich ihr an einem anderen Tag als Samstag mit der Toilettenbürste nähere. Er hat gelernt, dass es, besonders im Dunklen, gefährlich sein kann, barfuss durch die Wohnung zu gehen (man kann nie wissen, in was man hineintritt) und ich habe gelernt, dass Dinge die länger als nötig im Hausflur oder im Wohnzimmer herumliegen, plötzlich im Keller oder in der Garage verschwinden. So nähern wir uns Schritt für Schritt aneinander an.

Wir haben in vielen Punkten eine "wir sind uns einig, uns an diesem Punkt nicht einigen zu können" Übereinkunft:

Wir wählen nicht dieselbe Partei.

Wir essen nicht immer dieselben Speisen - kommentieren aber auch nicht die Vorlieben und Abneigungen des/der Anderen.

Wir haben nicht dieselben Freunde - aber die Freunde des/der Einen sind der/dem Anderen stets willkommen.

Wir haben nicht denselben Wach-Schlaf-Rhythmus.

Die Basis unserer Beziehung ist, den/die Andere/n als Individuum so wie er/sie ist zu respektieren. Auch das Kind. Aus einem Esel macht man kein Rennpferd. Die Ehe ist keine Besserungsanstalt. Unser Kind ist eine Gabe Gottes, die sich unter unserem Schutz zu einem eigenständigen Erwachsenen mit eigenen Interessen, Wünschen und Zielen mausern wird. Wir müssen sie nicht korrigieren, nur ihre natürlichen Stärken bewahren und ihr helfen, mit ihren Schwächen leben zu lernen - ohne Resignation und mit der Gewissheit, dass man alles lernen kann, wenn man es wirklich will.

"Dafür bist Du sowieso zu blöd." - "Vergiss es, das schaffst Du nie!" - "Du bist und bleibst ein Versager!" sind Zuschreibungen, die in unserem Wortschatz nicht vorkommen. Nicht dem Kind gegenüber - und auch nicht zueinander.

Mein Mann hat auch seine "Macken". Die gefallen mir nicht. Aber sie beeinträchtigen auch nicht meine Wohlbefinden, denn ich weiss, dass er dieses tut und jenes lässt weil es seine Art ist, so zu sein und zu tun und nicht, weil er mich ärgern will. Ich kann und will nicht annehmen, dass mein Mann mich verletzen, demütigen oder kränken will mit dem was er tut oder lässt. Und dieselbe positive Erwartungshaltung hat er mir gegenüber. Ohne diese Grundüberzeugung finde ich sowohl eine Freundshaft als auch eine Liebesbeziehung ziemlich "hohl". Warum soll ich annehmen, dass einMann der freiwillig mit uns zusammenlebt, ein Interesse daran hat, mir zu schaden? Warum sollte er das von mir annehmen? Oder wir von unserer Tochter? Von einem Menschen, dem ich das unterstellen müsste, würde ich mich trennen - er auch.

Bei uns kann jede/r tun und lassen, was er/sie mag solange es für andere nicht gesundheitsgefährdend oder extrem störend ist. Die höflich geäusserte Bitte: "Kannst Du dieses oder jenes bitte in Deinem Zimmer oder draußen oder wenn ich nicht da bin machen?" wird von jedem respektiert - und nur sparsam eingesetzt, da wir die Grenzen der individuellen Belastungsfähigkeit des/der anderen Familienmitglieder kennen und meist auch ohne Hinweise respektieren.

Unsere Tochter weiss aus lebenslanger Erfahrung, dass wir ihr nur Dinge verbieten, von denen wir annehmen, dass sie ihr schaden werden. Diese wenigen Verbote respektiert sie bisher, achtet auch selbst darauf, sich nicht zu über- oder unterfordern. Mehr an "Erziehung" finden wir überflüssig - und unser Kind gilt allgemein als "gut erzogen", da sie rücksichtsvoll ist und die Grenzen anderer Menschen intuitiv erspürt oder bewusst abfragt: "Stört es Sie, wenn ich...?" und ebenso respektiert, wie ihre Grenzen respektiert werden.

Die Messie-Problematik in unserem Haushalt ist eine gemeinsame Aufgabe, an der wir bisher gemeinsam nach Lösungen gesucht haben und weiter suchen. Als Quelle sehen wir übereinstimmend meine Herkunftsfamilie an, als weitere Ursache aber auch eine gewisse Indifferenz gegenüber materiellen Dingen - solange der Mangel nicht bedrohlich wird. "Warum soll ich Socken waschen, solange noch welche im Schrank sind? Die Sonne scheint, ich gehe lieber mit dem Kind 'raus." - "Warum schon wieder die Fenster putzen? Man kann doch noch durchsehen." und "Heute ist Sonntag, da machen wir etwas Schönes zusammen und lassen die Arbeit Arbeit sein." sind Aussagen, die so ebenso von meinem Mann wie von mir kommen können.

Ich hoffe nicht, dass mein Mann seine Ehe als Leidenszeit erlebt. Und ganz sicher leide ich nicht unter ihm. Wir leiden beide unter Stress im Job, Ärger mit dem Finanzamt, hohen Reparaturkosten fürs Auto oder schlechtem Wetter, aber Gott möge verhüten, dass ich je unter meinem Mann und meinem Kind oder diese unter mir leiden.

Natürlich leiden wir auch unter dem Chaos - aber niemand erwartet von mir, dass ich alleine die Verantwortung übernehme für Dinge die wir gemeinsam jahrelang haben schleifen lassen.

LG Schlumpfine


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