Re: Baby und Chaos (Angehörige)

Jade, Donnerstag, 11.05.2006, 10:17 (vor 6566 Tagen) @ Hummelchen1976

Hallo Hummelchen,

normalerweise lese ich hier eigentlich nur mit, aber deine Sorgen sprechen auch mir aus der Seele. Ich bin Cleanie (mit guten und mit schlechten Phasen), aber mein Freund und mittlerweile auch unser Sohn (7 Jahre, ADS-Träumerchen) sind völlige Chaoten. Nachdem ich mich nun schon seit Jahren mit dieser Problematik auseinandersetze, weiß ich, dass ich meinen Freund wirklich auch als Härtefall bezeichnen kann/muß. Unser Alltag hat sich eigentlich zu einer Art Kriegssituation entwickelt, um es mal überspitzt auszudrücken. Obwohl, wenn ich über meine täglichen Emotionen nachdenke, ist die Bezeichnung gar nicht so überzogen, sondern trifft es eher genau auf den Punkt. Seine "Truppen" kämpfen täglich darum sein inneres Chaos nach außen tragen zu dürfen und meine "Truppen" rennen von Hü nach Hott um verlorenes Land wieder zurückzugewinnen.

Unser Sohn ist in dieser Situation groß geworden und hat mittlerweile auch schon eine gewisse Form des Leidensdrucks aufgebaut. Ich habe mir auch sehr lange eingebildet, dass Kinder Chaos und Unordnung einfach übersehen können, ich mußte aber auch feststellen dass dies vielmehr ein Ignorieren ist, welches vermutlich ihrer völligen Hilflosigkeit entspringt. Mein Sohn reagiert sehr subtil auf die "Zustände" der Wohnung. Ist es unordentlich reagiert er gar nicht darauf, man könnte vermuten, er nimmt sie gar nicht wahr. Packt mich jedoch die Aufräumwut und ich beginne zu putzen, wird er buchstäblich zum Cheerleader. Er lobt mich, er beteuert mir, wie schön er die gereinigten Ecken findet, er hilft mir beim dekorieren, ja er genießt es offensichtlich eine schöne, ordentliche und saubere Umgebung zu haben.

Die Beziehung meines Freundes zu unserem Sohn ist sehr eng. Er liebt sein Kind über alles, ABER... er wäre objektiv (das ist tatsächlich nicht nur meine Meinung) nicht in der Lage alleine für den Kleinen zu sorgen. Abgesehen davon, dass er ihm kein kindgerechtes Umfeld gestalten könnte (wo Papier, Verpackungen, schmutziges Geschirr und Kleidung Platz haben, finden auch Scheren, Messer, Medikamente und sonstige für Kinder gefährliche Gegenstände, einen Platz zum überwintern). Er hat auch z.B. allergrößte Probleme damit den Kleinen optisch in einen tadellosen Zustand zu versetzen. Ehrlich, er sieht es angeblich nicht, wenn er ihm Hochwasserhosen, verfleckte oder zerrissene Kleidungsstücke anzieht. Und das, obwohl er selbst jeden Morgen, wie aus dem Ei gepellt mit Schlips und Anzug ins Büro dackelt. Den einzigen Menschen, den er einigermassen gut versorgen kann, ist sich selber, zumindestens nach Außen hin.

Er würde es niemals zugeben, aber ich denke, er hat irgendwann für sich beschlossen, dass er die Verantwortung fürs Kind nicht im vollen Umfang tragen will, und erwartet entweder ein Wunder (dass der Kleine es vielleicht von alleine lernt?) oder schiebt es ganz bequem auf mich. Sohnemann darf bei Papi auch morgens selbst entscheiden, ob er Körperpflege betreibt oder nicht. Beruflich bedingt bin ich morgens oft nicht verfügbar, und kann dann eigentlich nur an die Vernunft meines Sohnes appellieren, dass er alleine daran denkt, wie wichtig Zähneputzen, Waschen, Fingernägel säubern u.ä. sind.

Das geht auch finanziell so weiter, mein Freund geht nur arbeiten, weil ihm der Job Freude bereitet (da ist er wirklich gut), nicht weil seine Familie Geld zum Leben benötigt. Das klingt ungerecht, aber das hat er uns auch während einiger beruflicher Krisen schon bewiesen, dass die Arbeitslosigkeit dem mangelnden Spaß bei der Arbeit vorzuziehen ist. Sein Job ist sehr anspruchsvoll und erfordert auch ein hohes Maß an Kreativität und Flexibilität, was er auch normalerweise problemlos bewältigt...zumindestens so lange er genügend Anerkennung und Lob dafür erhält. Genau das ist sein Antrieb, nicht das Geld, das dabei rumkommt. Fehlt der Antrieb, verzichtet er auch aufs Geld, daraus macht er sich nicht viel. Geld ist nur dafür da um einen seiner Triebe (Kauflust) zu befriedigen. Ist es da, ist es gut, wenn nicht dann nicht. Sinnvolle/lebenswichtige Dinge, die angeschafft bzw unterhalten werden müssen, werden von ihm nicht als Triebbefriedigung gesehen, und werden oft genug einfach ignoriert und/oder vernachlässigt*seufz*.

Man darf nicht vergessen, dass sein Handeln Auswirkungen auf die gesamte Familie hat und somit auch wieder mit Verantwortlichkeit einher geht.

Ich könnte stundenlang so fortfahren, belasse es aber hierbei, weil ich eigentlich nur verdeutlichen wollte, wie schwer es einem Messie fällt Verantwortung zu übernehmen, auch wenn Liebe im Spiel ist. Da ist nicht nur einfach ein mentaler Schalter umzuklappen, und schon funktioniert es. Mein Freund ist ein Extrembeispiel, das ist mir bewußt, vielleicht bin ich auch einfach nur die falsche Frau für ihn ;-), aber ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass er sich nur selber ändern kann (was er in absehbarer Zukunft nicht vor hat / er hat nur Leidensdruck, wenn wir streiten, und das auch nur wegen der Auseinandersetzung, den Inhalt versteht er nicht). Ich habe ZWEI Kinder, und mit dem Hintergrund muß ich auch die Verantwortung für unsere Familie, und für unser Leben übernehmen. Wenn ich es nicht tue, macht es leider auch niemand sonst.

Ich wünsche dir viel Kraft, wohin auch immer dich euer Weg führen wird :-)

Eine quasi alleinerziehende Mami,

Jade


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