Eine "Antwort von der anderen Seite" ... Re: man möchte helfen , aber ... (Angehörige)

Micha ( Textcopie ), Donnerstag, 19.09.2002, 06:34 (vor 7883 Tagen)

Hallo,

Ich bin Messie und erlebe jeden Tag, wie sehr mein Mann unter meinem Chaos leidet und es belastet mich. Ich möchte es selbst in den Griff bekommen.
Wie oft fluche ich selbst über meine Unordnung, wenn ich Dinge, die ich eben noch in der Hand hatte suchen muß, will es wirklich ändern, doch es ist kaum zu schaffen.
Ich möchte ihnen sagen, was mir hilft und was mir nicht hilft das Chaos zu bewältigen, vielleicht finden sie dann eine Möglichkeit, besser mit den Chaos und ihrem Partner umzugehen.

Das was mir hilft mein Verhalten zu verändern ist, wenn mein Mann NICHT hinter mir herräumt, sondern mich ruft. Dann erst merke ich, daß ich die Obstschale nicht in den Müll geworfen sondern auf dem Tisch liegengelassen habe. Ich habe es vorher nicht registriert. Mein Problem ist es, daß ich arbeiten nicht fertig mache, weil ich durch irgend einen Impuls abgelenkt werde und bereits die näch-ste Arbeit anfange. Dadurch geht es sehr schnell, Chaos zu bekommen. Leider merke ich das Sprin-gen von einer Arbeit zu anderen erst, wenn ich daran erinnert werde oder zufällig wieder an den Punkt komme (z.B. Abwaschwasser, das inzwischen kalt ist, weil ich Geschirrtücher holen wollte und dazwischen durch Betten machen, Blumen gießen usw abgelenkt worden bin) oder wenn ich nach 3 Stunden arbeiten erschöpft feststelle, daß ich nichts geschafft habe und überall Chaos ist.

Dann kommt auch schnell die Feststellung "Am besten du machst garnichts, dann entsteht kein Cha-os, aber damit ist man auch nicht glücklich.

Es hilft einen festen Rhythmus einzuüben, bestimmte Arbeiten zu festen Zeiten zu erledigen. Wichtig ist auch, mit ihrem Partner für die Dinge einen festen Platz zu suchen, wo sie immer hingeräumt wer-den. Ich schaffe es nicht, Dinge, die keinen festen Platz haben irgendwo in den Schrank zu räumen, denn da gehören sie nicht hin. Also bleiben sie draußen und machen es unordentlich. Ich weiß, daß es unlogisch ist, ich könnte es ja später an eine andere Stelle legen. Das bekomme ich aber nicht hin.

Messies sind oft Perfektionisten. Ihre Vorstellungen und Wünsche sind so hoch, daß sie es nur selten schaffen, ihre Pläne umzusetzen. Entweder man fängt mit Elan an und schafft es nicht, gibt auf und hat Chaos oder man schafft es und alles andere bleibt liegen und hat auch Chaos.
Man merkt nicht, daß Aufwand, Zeit und Nutzen in keinem Verhältnis zueinander stehen. Man be-kommt auch nicht mit, daß man z.B. Geld ausgeben muß für Regale und Schränke, dafür kann man das was man braucht auch neu kaufen! Leider will man es nicht registrieren. Die Denkweise von Messies ist oft unlogisch. Das ist mir besonders in einer Selbsthilfegruppe aufgefallen und ich merke es nur bei anderen. Mir fällt es bei mir nur dann auf, wenn jemand direkt sagt, "sag mal spinnst du. 3 Std. Arbeit und für 10,00 DM hättest du es neu gekauft."
Vorher war es logisch die Arbeit zu machen ohne nachzudenken, ob es sich lohnt. Man kommt nicht auf die Idee es in Frage zu stellen.

Vergeßlichkeit, Ablenkbarkeit und Konzentrationsmangel spielen auch eine große Rolle. Ich habe mal 1/2 Std. meinen Schlüssel gesucht. Ich wußte, daß er am Spiegel liegt, habe meine Tasche ge-nommen, wollte gehen und an der Haustür fiel mir ein, daß ich der Kollegin etwas mitbringen sollte. also bin ich noch mal ins Haus und dann war der Schlüssel weg. Am Auto war ich noch nicht, in der Wohnung war der Schlüssel auch nicht zu finden. Obwohl ich überall gesucht habe.Nachdem ich völlig verzweifelt eine Kollegin angerufen habe, damit sie einspringt und meinen Frühdienst über-nehmen muß, habe ich den Schlüssel dann endlich in meiner Arbeitstasche gefunden. Ich habe nicht registriert, daß ich ihn schon in der Hand hatte.
Natürlich gab es Ärger, die Kollegin war am fluchen, der Chef über meine "Unzuverlässigkeit" ge-schimpft und Kindergarteneltern sich geärgert, daß sie vor verschlossener Tür standen und dadurch selbst zu spät zur Arbeit kamen.
Genauso schlimm ist es für mich, wenn mein Mann aufräumt und ich Dinge, von denen ich genau weiß wo sie gelegen haben, nicht wiederfinde. Oder wenn mir vorgeschrieben wird, was ich machen soll. Wenn ich den Druck erlebe, unter den mich meine Eltern früher gesetzt haben, wo ich nie Er-folgserlebnisse hatte, dann baut sich eine Blockade auf, geht nichts mehr.
Aufräumen ist auch kein Zeitproblem. Trotz ausreichender Zeit stehe ich davor, weiß nicht wie ich anfangen soll. Der Berg ist riesig, ich bin sofort wie gelähmt, mutlos, resigniere und bekomme keinen Anfang. Helfen tun aber kleine Schritte, wie jeden Tag 15 Min einer bestimmten Arbeit zu widmen 15 Min aufräumen oder morgens, mittags, abends 10 Teile wegzuräumen. Das sind kurze Einheiten, die man überschauen kann, wo das Ende klar ist und man sofort einen Erfolg sieht. Damit sind die meisten aus unserer Gruppe ganz gut zurechtgekommen.
Ich merke auch, daß mich das Chaos schützt. Wenn die Wohnung aufgeräumt ist, fange ich an zu frieren, sie ist dann für mich kalt, leer, tot. steril. Und dann fliegen sehr schnell wieder Sachen rum. Ich kann nicht sagen warum es so ist. Mein Mann und ich haben auch unterschiedliche Auffassungen über das was eine aufgeräumte Wohnung ist.
Ich kenne nur wenige Messies, die wirklich Ordnung bekommen. Ich denke, da muß es irgendwo im Kopf klick machen.

Die meisten Messies kämpfen ihr Leben lang gegen das Chaos, mit mehr oder weniger Erfolg, viele resignieren und brauchen immer wieder Zuspruch, den Kampf wieder neu aufzunehmen. Der Partner, der wirklich helfen will, braucht sehr viel Geduld und Mut einen aussichtslosen Kampf so zu führen, daß er selbst nicht zugrunde geht.

Ich habe mal zusammengestellt, was an Messies auffällig ist, womit Messies zu kämpfen haben, möchte es ihnen aber nur posten, wenn sie es wirklich haben wollen. Dieser Brief ist schon lang genug.
Ich wünsche ihnen für Ihre Beziehung alles Gute. Vielleicht hilft ihnen die Sichtweise eines Messies ein bißchen weiter, ihren Partner zu verstehen.


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