Re: Meine Eltern... sehr lang (Angehörige)

Katzenminze, Mittwoch, 19.01.2005, 22:08 (vor 7046 Tagen) @ Sabine

Hallo Sandra-Katharina und Sabine,

was bleibt von Sandra-Katharina übrig, wenn sie losläßt, das habe ich mich gefragt bei dem "ich kann doch nicht"....."ich sollte auch mal an mich denken".

Ich finde dieses Verhalten weder verantwortlich sich selbst gegenüber noch ihren Eltern gegenüber.

Jacqueline

Hallo Sandra-Katharina,
puh, die Situation ist wirklich alles andere als einfach für Dich.
Auch wenn Dir viele dazu raten, Deine Eltern das selber lösen zu lassen, weil sie ja erwachsene Menschen sind, so einfach geht das nicht. Denn wie Du schon sagst:

Ich weiß, ich sollte auch mal an mich denken, aber es sind doch meine Eltern! >Da sagt man nicht einfach "Tschüss ich geh jetzt, seht zu wie ihr alleine klar >kommt">>Bin hin-und hergerissen, weiß nicht was ich tun soll>Das ist auch erstmal gut so, daß Du Dir Sorgen um Deine Eltern machst und Du ihnen helfen willst. Schließlich sind es Deine Eltern, und bei Menschen die einem lieb sind ist es normal, daß man nicht gleichgültig ist. Es spricht auch sehr für Dich und zeigt, daß Du bereit bist, Verantwortung zu übernehmen in schwierigen Sitationen.

Wichtig ist es, daß Du die Probleme trotzdem nicht zu nah an Dich ranläßt. Das ist leichter gesagt als getan. Ich kann bei Problemen auch oft sehr schlecht den Aus-Knopf finden. Wichtig ist es auch, daß Du Dir jeden Tag selbst etwas Gutes tust, das muß nichts großartiges sein. Einfach eine Viertelstunde auf einer Parkbank in der Sonne sitzen, mit Mitstudenten in die Mensa gehen... Das alles ist wichtig, damit Du stark bleibst und damit Du überhaupt Energie behältst, um Deinen Eltern helfen zu können.
Aber paß auf, daß Du Dich nicht übernimmst, und denk immer daran, Deine Eltern sind erwachsen, Du kannst ihnen nur Hilfe zur Selbsthilfe geben.
Ich bin auch ein Messie, arbeite aber daran, in kleinen Schritten den Mess aufzuräumen bzw. zu entrümpeln.

[...] bin heute durch Zufall auf dieses Forum gestoßen und freue mich nun (hoffentlich) über meine Probleme sprechen zu können. Also ich bin gestern 21 geworden ( hab nicht gefeiert,weil keine Freunde, wegen Messie-Verhalten der Eltern) Ich wohne noch zu Hause, weil ich studiere (Kunstgeschichte) und mir aus diesem Grund keine eigene Wohnung leisten kann.

Das ist wirklich sehr schlimm, daß Du wegen dem Chaos Deiner Eltern keine Freunde einladen kannst. Für jeden Menschen ist es überlebenswichtig, um Freunde zu haben. Wahrscheinlich können Deine Eltern selbst auch niemanden einladen, weder Verwandte noch Freunde.
Versuche, wenn es eben geht, doch auszuziehen. Vielleicht hast Du Recht auf Bafög, oder Du kannst 8-10 Stunden die Woche jobben. Vielleicht findet Du ja ein preiswertes Zimmer im Studentenwohnheim. Dort kannst Du dann in der Woche wohnen und in Ruhe Lernen, Referate vorbereiten, Hausarbeiten schreiben, Dich ausruhen, Besuch kriegen, Dich mit Hobbys beschäftigen. Und am Wochenende kannst Du bei Deinen Eltern sein. Aber paß echt auf, daß Du Dich nicht übernimmst.
Um Leute kennen zu lernen, rate ich Dir, in die Fachschaft zu gehen. In den Fachschaftssitzungen lernst Du Leute kennen, und wenn Du kleine Aufgaben übernimmst, hast Du schnell Erfolgserlebnisse. In einem kleinen Institut sehen auch schnell die Dozenten, daß Du Dich in der Fachschaft engagiert, das bedeutet in jedem Fall Pluspunkte.
(Falls es für Kunstgeschichte keine Fachschaft gibt, gründe doch eine, der Asta weiß wie das geht, oder versuche es bei der Fachschaft eines Deiner beiden Nebenfächer)

Ich bin meinen Eltern ja wirklich sehr dankbar, dass ich weiterhin bei ihnen wohnen kann, aber ich kann da einfach nicht leben geschweige denn lernen, weshalb auch mein Studium sehr darunter leidet.

Das kann ich mir gut vorstellen, daß Dein Studium leidet. Denn natürlich spukt Dir das Chaos immer im Hintergrund noch im Kopf rum. Das ist vergleichbar mit Menschen die jemanden mit einer schweren Erkrankung in der Familie haben.
Hast Du schon mal mit Deinem Hausarzt darüber gesprochen? Vielleicht kann der Dir ein Attest schreiben, daß Du eingeschränkt studierfähig bist. Das ist wichtig wegen Langzeitstudiengebühren. Selbst wenn es die in Deinem Bundesland noch nicht gibt, was nicht ist kann noch kommen. Dort wo es sie schon gibt sind die auch rückwirkend. In dem Attest muß keine genaue Erkrankung drin stehen, wichtig ist nur, daß Du mindestens 50% vermindert studierfähig bist. Wie auch immer, es ist gut, wenn wenigstens bei Deinem Hausarzt etwas dokumentiert ist, dann kannst Du bei Bedarf auch noch später ein Attest bekommen.
Mit diesem Attest kannst Du Bonussemester beantragen, es gibt auch halbe Bonussemester für Leute die eingeschränkt studierfähig ist. Unterschätze das nicht. Auch wenn Du jetzt denkst, es mit viel Fleiß und gutem Willen in der Regelstudienzeit schaffen zu können, Du weißt nicht was noch alles passieren kann. Also sicher Dich lieber ab.
Vielleicht, wenn Du das möchtest, kann der Hausarzt Dir psychotherapeutische Hilfe verschreiben. Denn was Du bei Deinen Eltern mitmachst, ist eine sehr stark belastende Situation.
Paß gut auf Dich auf. Du bist noch so jung. Mit der Situation sind auch Leute die wesentlich älter sind als Du überfordert. Denk immer daran, daß Du auch Zeit und Raum haben mußt um das Leben zu genießen.

Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie es bei uns aussieht. Im Keller sind die Kisten bis unter die Decke gestapelt, was in den Kisten ist, mag ich gar nicht erzählen, ist ja schon peinlich... alte Zeitungen, Fernsehzeitungen, Werbeprospekte und am meisten ist die BILD zu finden, mein Vater sammelt diesen Schund leidenschaftlich. Das Schlimme ist, die Zeitungen sind teilweise schon über 10 Jahre alt... da hat das angefangen mit der Spinnerei.

Hast Du Deine Eltern schon mal gefragt, warum sie die ganzen Zeitungen sammeln? Welche Vorteile versprechen die sich davon? Würden die einen bestimmten Artikel zu einem bestimmten Thema überhaupt wiederfinden? Haben die jemals Zeit das alles noch mal zu lesen? Sind diese Zeitungen es überhaupt wert um dafür Lebenszeit zu verschwenden?
Durch Fragen zu stellen, kannst Du Deinen Eltern helfen, sich bewußt zu werden, daß sie die ganzen Zeitungen nicht alle behalten können.
Ich habe da ich selbst Messie bin auch Zeitungen gehortet, wahrscheinlich aber nicht so viel wie Deine Eltern. Eine Menge Zeitungen habe ich schon weggeworfen. Ich verwahre nur noch ausgesuchte Artikel. Ich weiß, daß auch von diesen Artikelarchiven abgeraten wird. Aber ich brauche diesen Schritt. Irgendwann später werde ich mich auch von den Artikelarchiven trennen können.

Mein kleiner Bruder ist mit 16 von zu Hause ausgezogen und lebt nun bei meinen Großeltern, ihm ist es alles zu viel geworden, mein Vater wollte ständig etwas in seinem Zimmer abstellen... er hatte gar keinen Platz für sich.

Ich kann Deinen Bruder nur zu gut verstehen. Nur so hat er die Möglichkeit, ein halbwegs normales Leben zu führen. Er ist noch viel jünger als Du. Da ist es normal, daß ihm das alles zu viel wurde. Er ist noch minderjahrig, also ist der Schutz seiner seelischen Gesundheit sehr wichtig.

Was soll ich tun?

Wie schon gesagt, Du kannst Deinen Eltern hauptsächlich Hilfe zur Selbsthilfe geben. Frag sie, warum die ganzen Sachen es wert sind, aufbewahrt zu werden. Ob sie sich alle Teile (auch die alten Zeitungen) bei Verlust nochmal kaufen würden. Sind die alten Pröbchen überhaupt noch gut, oder schon verdorben? Was nützen die ganzen gehorteten Duschgelpröbchen wenn im Badezimmer kein Platz mehr zum duschen ist?
Frag Deine Eltern, ob sie, wenn sie die Wahl hätten, die Wohnung noch mal genauso einrichten würden wie sie jetzt ist.
Was Du auch machen kannst, Du kannst Deinen Eltern beim Putzen helfen, soweit das in einer zugeschütteten Wohnung überhaupt noch möglich ist. Aber denk immer daran: paß auf Dich auf. Es ist wichtig, daß Du immer genug Zeit für Dich selbst hast.

Vielleicht kannst Du Deinen Eltern auch Internetseiten von Messies zeigen.
Oder guck mal hier im Wiki. Da findet Du zahlreiche Aufräumtips, z.B. Erste Hilfe im Chaos, Celestines Heiliges Land. Damit können Deine Eltern lernen, schrittweise aus ihrem Chaos wieder rauszukommen.
Es wird Monate dauern, denn das Chaos ist ja nicht an einem Tag entstanden. Lobe Deine Eltern auch für kleine Fortschritte.
Es gibt auch Bücher mit Aufräumtips von und für Messies:
Sandra Felton: Im Chaos bin ich Königin
Sandra Felton: Im Chaos werden Rosen blühen
Thomas Ritter: Endlich aufgeräumt
Es sind alles Taschenbücher, also nicht zu teuer. Das von Thomas Ritter ist gut, es ist mit einfachen Worten geschrieben, übt keinen Zwang aus, zielt aber schon auf einen Bewußtseinswandel.
Für Angehörige von Messies gibt es:
Sandra Felton: Laßt uns gemeinsam das Chaos überleben.
(In großen Buchläden sind diese Bücher vorrätig, so daß Du erstmal darin stöbern kannst)
Was Du auch machst. Denk immer daran, Deine Eltern sind erwachsen. Du bist nicht für sie verantwortlich. Und Du kannst nur Hilfe zur Selbsthilfe geben.
Und ganz wichtig: paß auf Dich auf, laße es nicht zu nah an Dich ran kommen und sorge dafür, daß Du ein eigenes Leben aufbaust.
Ich wünsche Dir alles Gute.
Grüße,
Sabine


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