Re: Wochenstruktur (Allgemein)

Schlumpfine, Freitag, 04.02.2011, 11:48 (vor 5072 Tagen) @ Lisa Suisse

Liebe Lisa,

was Odille dir geschrieben hat, deckt sich mit meinen Erfahrungen.
Allerdings ist es - ebenfalls meiner Erfahrung nach - keine Lösung "erstmal" ganz viele Therapien zu machen und "nachher" die Alltagsprobleme zu lösen.

Wenn ich außer Haus arbeite, bekommt die Hausarbeit bei mir den Stellenwert, den sie mpMn sinnvollerweise haben sollte:
Ein paar Minuten bis maximal zwei oder drei Stunden zusätzliche Tätigkeiten pro Tag.
Nichts Schlimmes neben der Haupttätigkeit in einem Beruf, den ich vor vielen Jahren gewählt habe und bis heute meistens mit Freude ausübe.

Wenn ich Arbeit suchend bin, wirft mich jede neue Absage eines potentiellen Arbeitgebers wieder zurück in ein Dasein, das ich weder gewählt habe, noch mit Freude ausüben kann. Ich kann gut "das bischen Haushalt" nebenbei mit erledigen. Ich genieße den Feierabend mit meiner Familie.

Und es tut mir gar nicht gut, meine Tage ohne weitere Aufgaben nur der Jobsuche, dem Haushalt und den Kindern zu widmen. Selbst für meine Hobbies fehlt mir dann oft die Kraft. Mit Blick auf Berge von nicht erledigten Routineaufgaben im Haushalt, fällt es mir schwer zur Wassergymnastik, zum Walken, ins Kino oder mit Freundinnen aus zu gehen. Mein schlechtes Gewissen hindert mich daran, mir solche Freuden zu gönnen.

Langer Rede kurzer Sinn: Mit Job komme ich besser klar als ohne.

Da ich mir keinen Arbeitsplatz herbeizaubern kann, liegt für mich ganz persönlich die Herausforderung darin, auch unter erschwerten Bedingungen (d. h. mit wenig Geld und ohne Außer-Haus-Tätigkeit) gut für die Kinder und für mich zu sorgen.

Meine Frauenärztin hat mir soeben mitgeteilt, dass ich extrem niedrige Eisenwerte habe und dringend etwas dagegen tun sollte. Außerdem soll ich meine Schilddrüsenfunktion bei einem Spezialisten testen lassen, sagte sie mir.

Diese Aussagen rücken meine Antriebslosigkeit und Infektanfälligkeit in diesem Winter natürlich in ein ganz anderes Licht.

Sie wirken dämpfend auf meine Schuldgefühle und steigern meine Lust, mir Gutes zu gönnen. Nicht nur besseres Essen mit mehr Salat, Obst und Fleisch, auch mehr Bewegung und erfreuliche Aktivitäten. Und einen aufgeräumten Kleiderschrank.

"Ich gönne mir einen aufgeräumten Schrank." hat auf mich eine völlig andere Wirkung als "Ich unfähige SChlampe bin sogar zu faul, meinen eigenen Schrank aufzuräumen. Das muss ich jetzt endlich mal tun."

Der erste Satz ist in meinem inneren Dialog noch relativ neu. Mich selbst auf diese Art und Weise zu motivieren und zu belohnen, habe ich hier im Forum sowie in diversen Therapien gelernt. Der zweite Satz ist mir von Kindesbeinen an vertraut. Solche Sprüche habe ich praktisch mit der Muttermilch eingesogen. Wenn ich gesundheitlich geschwächt bin, kommen solche alten Gewohnheiten wieder stärker zum Vorschein, als wenn ich körperlich fit und seelisch in guter Verfassung bin.

Das Tröstliche für mich persönlich ist, dass ich in diesem Teufelskreis aus Vernachlässigung, Entmutigung, Abwertung, schlechtem Gewissen, Mutlosigkeit, Kraftlosigkeit, schlechter Ernährung, Wassermangel, fehlender Struktur, Bewegungsmangel etc. an jedem beliebigen Punkt ansetzen kann, um das Rad in die andere Richtung zu drehen.

Erfolgserlebnisse, fröhliche Begegnungen mit freundlichen Menschen, Bewegung, gesunde Ernährung, genug Trinken, notwendige Arztbesuche, zügige und beiläufige Erledigung meiner täglichen Aufgaben, positive Ausstrahlung, fürsorgliche Körperpflege, eine unterstützende, funktionale Arbeitsumgebung hier zuhause etc. wirken jedes für sich - ganz gleich an welchem Punkt ich ansetze.

Insofern stimme ich Odille zu und relativiere zugleich ihre Aussage, weil es selten ein Faktor allein ist, der in meinem Leben schief läuft bzw. rund läuft.

Für mich persönlich heißt das hier und heute: Die nächsten 14 Tage mit Eisenpräparat und bewusster Ernährung betrachte ich ganz bewusst als Rekonvaleszenz, in der ich mir ohne schlechtes Gewissen genug Schlaf sowie jede Form körperlicher Bewegung gönnen darf. Bisher war die ständige Müdigkeit für mich ein Grund, mich noch mehr zu schämen und abzuwerten. Mit der Diagnose, der Therapie und dem Zeitrahmen von 14 Tagen bis zur nächsten Blutabnahme kann ich meine körperliche Schwäche sehr viel besser annehmen. So kann ich behutsam und langsam das derzeit Mögliche erledigen - statt mir zornig und erfolglos das für mich jetzt Unmögliche abzuverlangen.

Liebe Lisa,

nützliche Routinen und Strukturen (wie z. B. ein Essensplan wie der vom Paladin) erkenne ich daran, dass sie mir im Alltag Entlastung und Erleichterung bringen.

Es ist meiner Erfahrung nach ähnlich, wie der Übergang vom Fahranfänger zum routinierten Autofahrer:
Wenn ich nicht mehr darüber nachdenke, welche Bewegungen in welcher Reigenfolge als Nächstes dran sind, wenn vor mir Bremslichter aufleuchten oder eine Ampel auf Grün umspringt, sondern meine Hände und Füße meine Absicht, den Wagen abzubremsen bzw. zu beschleunigen ganz unbewusst in die Tat umsetzen, habe ich meinen Kopf frei fürs Verkehrsgeschehen um mich herum.

Ähnlich entlastend und hilfreich erlebe ich Routinen und Strukturen in meinem Alltag.
Strukturen, die ich als Fesseln und sinnlose Beschränkungen meiner Spontaneität wahrnehme, sind nicht per se schlecht oder nutzlos - sondern passen wahrscheinlich einfach nur nicht in unseren Familienalltag.

Ich wünsche uns allen die Offenheit und Freiheit, unseren Lebensstil - ganz gleich wie er im Detail gestaltet sein mag - zu genießen.
Und dazu die Kraft, Dinge und Gewohnheiten, die wir nicht genießen können oder wollen, nach und nach loszuwerden.

Ein erholsames Wochenende wünscht uns

Schlumpfine


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