Scham (Allgemein)

Astarte, Donnerstag, 08.05.2008, 15:02 (vor 5842 Tagen) @ Xandria

Hallo [image]

Ja, ich merke schon (auch weiter unten), dass Du da ein bißchen anders gestrickt bist als die Erfahrungen, die ich mit (meinem) Messi habe. Den Zeitdruck kenne ich da durchaus, ist auch bei mir ein großer, großer Faktor. Ich würde mich als ein Messi wie Dich einordnen. Was ich jetzt hier zu der Frage nach den Erwartungen schrieb war allerdings die Projektion auf Messis wie meinen Gemahl inklusive ADS. Wie vor ein paar Tagen schon mal erwähnte, kann ich (noch?) nicht einschätzen, welche Sorte repräsentativer ist. Aber im Endeffekt ist Leiden unter dem Chaos immer ein Leiden, egal welche Begleitumstände oder Ursachen.

Wie dem auch sei: Bei einem Messi wie meinem Gemahl wären viele Punkte deiner Antwort schon per se gar nicht möglich. Zum Beispiel dass er aufgrund seines Selbstwertes den Körper etwa genauso behandelt wie alles andere. Seine Wäsche sieht natürlich auch entsprechend aus und riecht auch entsprechend seiner Wohnung. Und das größte Chaos herrscht im Behördenkram und Finanzkram, so dass er seit mittlerweile 3 Jahren einen gerichtlichen Betreuer hat. Auch an Arbeiten ist nicht zu denken. Hier steht er sich vor allem selbst im Weg. Zum Beispiel bekommt er einen super, super genialen Job, scheitert aber daran, weil er es versemmelt rechtzeitig vor Ablauf der Probezeit das Führungszeugnis vorzulegen. Oder er wurde entlassen, weil ihm das ganze Chaos so über den Kopf stieg, dass er blindlinks abhaut, unentschuldigt fehlt. Und immer wieder hatte er ganz zufällig so viel Pech, dass es eben schon jedweden Zufall Hohn spricht. In dem kompletten Chaos fällt das auf den ersten Blick nicht auf. Kann ja mal passieren etc. Aber über Jahre beobachtete erkannte ich (und wenigstens auch er), dass System dahinter steckt!

Aber vor allem eine Frage ist interessant: Schämt sich mein persönlicher Messi? Nein! Es ist nicht die Scham, die ihn abhält Freunde einladen. Er hat schlichtweg keine. Nie wirklich gehabt. Es ist nicht die Scham, die ihn daran hindert, Hilfe anzunehmen. Eher ein Trotz. Die feste Überzeugung, dass es so sein müsse, er es so und nicht anders verdient habe. Er schämt sich nicht. Er hat lediglich keinerlei Bock sich "rechtfertigen" zu müssen.

Dass er gar niemanden mehr in seine Wohnung reinlässt, ist erst seit 1 bis 2 Jahren der Fall. Er beginnt erst ganz langsam sich zu schämen, wenn überhaupt. Zur Scham gehört auch so etwas wie ein Schuld-denken. Man schuldet sich selbst an, etwas falsch gemacht zu haben. Dazu gehört aber wiederum erst mal ein Gefühl dafür, wie es richtig sein sollte, ganz egal ob das nun real, überzogen oder nur subjektiv ist. Und hier herrscht gähnende Lehre bei ihm. Denn er hat u.a. keinerlei Ansprüche an sich selbst, sein Leben, seine Wohnung usw. Er hat überhaupt kein Schuld- oder Versagensgefühl, schließlich ist das ja alles nur alleine und rein sein Bier und geht niemanden was an. So! Bäh! Jetzt hat er uns aber gegeben!

(Vielleicht ist diese eine Art davon mit Scham umzugehen. Statt sich selbst anzuklagen, es am Umfeld auslassen)

Dein Fall erinnert mich - wie gesagt - eher an mich. So scheinst Du zum Beispiel auch sehr viel Struktur etc. AUSSERHALB der Wohnung zu suchen, weil Du Dich in ihr total unwohl fühlst. Ein ausgefültes Leben außerhalb der Wohnung kann etwas sehr Schönes sein, aber gerade wenn man so viel Stress hat, fehlt eben der Ausgleich. Nach hause kommen. NACH HAUSE. Entspannen können. Füße hochlegen. Tief durchatmen!

Ich persönlich kann das überhaupt nicht. Das seit Jahren. Weil ich den Dreck nicht wegignorieren kann. Nur wenn ich am PC sitze. Mit ein Grund für meine Internetsucht. (Wenigstens nutze ich die Online-Zeit konstruktiv). Aber früher war ich mal eine Leseratte. Jetzt schaffe ich höchstens ein Buch pro Jahr. Denn ich kann mich auf kein Buch konzentrieren, wenn ich tausend Dinge aus dem Augenwinkel sehe, die ich noch zu tun habe. Die Gegenstände sprechen regelrecht mit mir, schreien mich an: "Los! Spül mich!SPÜL MICH!!!" Um so unerträglicher es wird, um so mehr Beschäftigung suche ich mir außerhalb. Ich habe sogar zeitweise regelrechte Magenkrämpfe, wenn ich nur daran denke, wieder nach Hause zu müssen.

In einer zugemüllten Wohnung leidet man Höllenqualen. Die Angst davor entdeckt zu werden ist unerträglich. Ich habe Tage in meiner Wohnung zu gebracht ohne Licht und ohne Geräusche zu verursachen, weil ich Angst hatte andere könnte merken, dass ich zu Hause bin und würden in meine Wohnung rein wollen.

Das ist wirklich tragisch und tut mir sehr Leid für Dich. Dieses Gefühl kenne ich nur manchmal, wenn es unerwartet klingelt. Aber vielleicht ist das auch der Grund, wieso Du deine Probleme nun wirklich und erfolgreich angehst im Gegensatz zu anderen Messis.

Nur dass mit mit der Zeit... oh ja, das kenne ich nur zugenüge! Gerade neulich habe ich mir wieder den Kopf darüber zerbrochen, wie das mit dem Haushalt nebenbei überhaupt in meinem Fall gehen soll. Dass dies doch völlig utopisch ist und gar nichts mit Messi oder Psyche zu tun hat, sondern einfach ganz logische, unverrückbare Fakten. Die erste Reaktion meiner Freundin war: "Aber andere..." . *Kicher* Weiter kam sie nicht. Denn "Andere" haben auch andere Lebensumstände und weniger Belastungen. Ich bilde mir tatsächlich ein, dass ich, wenn ich ein normales Leben führen würde und von Anfang eine Basis gehabt hätte, ich einen NORMALEN Haushalt führen konnte. Aber ich habe nun mal keinen normalen Haushalt. Punkt. Irgendwann kam ich zu der kindlichen naiven und daher nicht ganz so ernstgemeinten Meinung: Eigentlich sollte mir die Krankenkasse eine Putzfrau bezahlen und gut wäre es! Aber was Beruf, Haushalt und am besten noch mit Kindern etc. angeht, da ist unsere Staat und unsere Gesellschaft ja... - nun ja, wie soll ich sagen- ... sehr schizophren?!

So etwas geht überhaupt nur, wenn zuhause VON VORNEHEREIN alles durchstruktiert ist, alles seinen absoluten festen Gang hat. Wenn überhaupt. Aber sobald sich einmal was angestaut hat, dann ist ENDE.

Von daher habe auch ich weniger ein Schamproblem. Dank negativer Erfahrung mit Cleanie-Mutter habe ich definitiv keine so hohe Ansprüche an Ordnung wie z.B. sie, die mich 20 Jahre lang niemals Besuch empfangen ließ, weil die supersaubere Wohnung nicht sauber genug war. *Würg*.

Mein Leid ist eher das, dass ich mich selbst so absolut, absolut unwohl fühle. Ich bin an der Uni und bin ein normaler, gesunder, fröhlicher Mensch. Ich komme durch die Wohnungstür, und schwups: Egal wie gut eben noch die Laune und groß die Motivation, es fällt dermassen zusammen, dass nur noch Lethargie angesagt ist. Tausend durchnachte Nächte, in denen ich in Gedanken Möbel schob, Renovierungspläne schmiedete oder von einer neuen Wohnung träumte. Morgens aufwachen, der erste Blick noch im Schatten auf den Wäschestapel, der den Schlafzimmerboden bedeckt... und der Tag ist gelaufen! In Semesterferien steh ich gar nicht erst wirklich auf! Oder stundenlang sich im Bett verkriechen und die Gedanken kreisen sich ohne Ende, und alles schreit in mir: "Aufhören!", ganz früher auch Autoaggression, damit die Zwangsgedanken endlich aufhören. Stundenlang zu versuchen sich zu motivieren aufzustehen...und es geht einfach nicht.

Aber diese ganze Lethargie ist SOFORT verschwunden sobald ich außerhalb meiner Wohnung bin. *schulterzuck*

Seltsam, aber so steht es geschrieben
Zeit... *seufz*
Bei mir kommt hinzu, dass mein Tagesrhythmus wegen Studium so unregelmässig ist, dass ich einfach faktisch keine Chance haben neue Gewohnheiten zu etablieren. Mal eher wie ein Berufstag, dann wieder mal Ferien, alle Freunde, alles weg. Dann Hochdruck wegen Prüfungen, wo ich wochenlang erst um 23 Uhr nach hause komme, und es ändert sich jedes Semester, und man weiß nie, wie das nächste wird.

Gruß,
Astarte


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