Meine Mutter ist ein Messie (Angehörige)

Mario, Montag, 17.02.2003, 17:11 (vor 7739 Tagen)

Liebes Forum!

Ich bin erst vor Kurzem auf die Idee gekommen mal im Internet nach einem Forum dieser Art zu suchen. Ich habe erst erfahren daß es viele Betroffene gibt, nachdem ich Messies im Fernsehen gesehen habe. Es tut gut zu hören daß man doch nicht so alleine mit diesem Problem ist!!!

Meine Mutter ist ein Messie. Das Ganze muß etwa 1975 angefangen haben als ich ganz klein war. Soweit ich vermute war meine Mutter damals mit mir und meiner älteren Schwester überfordert, dazu noch die Schwiegermutter, Haushalt, Eheprobleme und was weiß ich was.
Ich (Jahrgang 73) kann mich noch gaaaaanz dunkel daran erinnern, daß die Wohnung mal "so gut" aussah, daß wir Besuch von unserem Pastor haben konnten, vielleicht 1976. Seitdem habe ich einmal einen Freund in die Wohnung geschmuggelt (wir waren damals etwa 8 und mein Freund war entsetzt), und es waren in der Zwischenzeit diverse Handwerker da (die sich natürlich nicht mit Kommentaren zurückhielten).

Ich bin also von klein auf im Dreck großgeworden. Es gibt in der 90qm-Wohnung meiner Eltern kaum einen Meter freie Fläche, das Wohnzimmer ist unbewohnbar seit ich denken kann, Wäscheberge bis zur Decke. Größtenteils alte Baby- und Kinderwäsche von mir und meinen beiden Schwestern, von denen sich meine Mutter nicht trennen kann. Die Ehebetten im Schlafzimmer kann man kaum erreichen, erst mal die Tür aufkriegen mit den Wäschebergen dahinter, und dann über die Wäscheberge ins Bett klettern. Tagsüber werden auf dem Bett Wäscheberge gestapelt, die meine Mutter jeden Abend in die Küchen-Eßecke schleppt und morgens zurück aufs Bett.
In den Schränken hängen nur alte Kleider von ca. 1960 - 1970, die natürlich nicht weggegeben werden dürfen. Alle "aktuellen" Klamotten sind im Wohnzimmer oder Schlafzimmer gestapelt.
In Küche und Kinderzimmer kann man sich nur auf Pfaden bewegen, die links und rechts mit Kisten und verstaubten Tüten von Annopief gesäumt sind. Die Küchenschränke kann man größtenteils nicht mehr öffnen weil alte Tüten und Kartons davorstehen, also werden Geschirr und Töpfe in die Staubflusen links und rechts gestellt. Die Hälfte des Küchentisches ist gesäht voll alter Grundschulmitteilungen und Einkaufszettel, viele noch von 1980!

Als Kind wurde mir manchmal von meiner Mutter gesagt daß ich das alles schuld bin, weil ich als Baby sehr oft krank war und meine Mutter für nichts mehr Zeit hatte.
Ich weiß nicht wann ich verstanden habe daß etwas nicht bei uns stimmt und wirklich alle anderen Kinder die ich kannte ordentliche Wohnungen hatten. Ich habe dann meine Freunde angelogen und gesagt daß meine Eltern keinen Besuch in der Wohnung möchten, ich habe meine ehemalige Freundin vier Jahre lang angelogen wenn sie mich mal zu Hause bei meinen Eltern besuchen wollte und ich lüge auch meine heutige Partnerin an, sie ahnt nichts von dem Problem ihrer Schwiegermutter.

Ich wollte mich als Kind umbringen, weil ich es einfach nicht mehr ausgehalten habe. Nachbarn haben natürlich angefangen zu reden, irgendwann kriegt man ja mal einen Blick in die Wohnung mit. Andere Kinder haben gefragt und als Kind gibt man halt ehrliche AntwortenEs war mir immer so entsetzlich peinlich wenn jemand zum Heizungablesen kam und sich erst mal durch den Müll schieben mußte. Meine Mutter machte immer das normalste Gesicht der Welt, so schlimm ist das ja gar nicht, aber ich hätte im Boden versinken können. Ich hatte als Kind oft Angst daß so ein Handwerker das alles den Nachbarn weitererzählt und alle über uns reden. Es war mir einfach unbeschreiblich peinlich, aber ich konnte nichts daran ändern!

Als meine kleine Schwester 1982 in das Chaos hineingeboren wurde, wollte ich sogar mal beim Jugendamt anrufen. Einfach damit mal einer kommt und meiner Mutter sagt daß das alles nicht normal ist. Ich habe mich aber nicht getraut weil ich dachte daß die uns Kinder sofort ins Heim stecken und die Katzen ins Tierheim und dann habe ich die Familie kaputt gemacht.

Mittlerweile ist meine große Schwester per Studium in eine weit entfernte Stadt abgehauen, ich bin ebenfalls mit 20 mit der "Erstbesten" zusammengezogen, und meine kleine Schwester ist jetzt seit ein paar Monaten zu Hause raus.

Ich habe mittlerweile Abstand zum Messie-Problem meiner Mutter gewinnen können, da ich ja nicht mehr damit leben muß. Meine Partnerin kennt mich jetzt fast 10 Jahre und wir leben schon einige Jahre zusammen. Mittlerweile könnte ich mir fast vorstellen ihr zu sagen was wirklich los ist.
Aber dann denke ich immer daran daß sie eigentlich gut mit meiner Mutter klarkommt, und ich möchte nicht daß sie jetzt in ihren Augen zur Mega-Schlampe wird. Aber das ist sie ja eigentlich!

Ich habe Angst daß es Ärger gibt, wenn ich mal Kinder habe. Ehrlich gesagt möchte ich nicht, daß sie in die Wohnung meiner Eltern kommen. Das würde ich keinem Lebewesen zumuten! Vor allem soll ich meine Partnerin dann draußen im Treppenhaus warten lassen weil es zu peinlich ist? Und die Kinder werden auch größer. Ich weiß ja noch welche Belastung es für mich war, dieses schlimme Geheimnis nie mit irgendjemand teilen zu können.
Aber wie soll ich das meiner Partnerin und vor allem ihrer Familie erklären? Ihre Mutter ist die Super-Hausfrau, da wird zweimal täglich mit Sagrotan geputzt. Und bei meiner Mutter kriegen die Kinder dann Allergien und Staubmilben... Das möchte ich nicht.

Ich würde ja auch meinen Eltern wünschen daß sie ihren Lebensabend in vernünftigen Verhältnissen leben können. Mein Vater ist gerade in Rente gegangen und meine Mutter war sowieso Hausfrau seit dem ersten Kind. Die beiden hätten also spätestens jetzt die Zeit, sich mit den Chaos auseinanderzusetzen.
Mein Vater redet auch immer davon, aber wenn er irgendeinen Karton durchsehen will macht meine Mutter nur Theater, heult und schimpft. Ich glaube er hat das schon vor langer Zeit aufgegeben.
Meine beiden Schwestern haben natürlich auch sehr unter der Situation gelitten, aber sie haben sich örtlich entfernt und damit eh´ weniger Kontakt zu unseren Eltern. Ich weiß nicht wie die die Sache mit den Enkelchen sehen.

Wie kann ich meiner Mutter helfen? Sie selbst sieht ihre Situation als total normal an, zumindest redet sie sich das ein. Sie sagt heute noch, daß das ja nur an den kleinen Kindern lag und der vielen Arbeit damals. Aber "damals" war vor über 20 Jahren!!!!
Sie ist nicht in der Lage, irgendeine Aufgabe im Haushalt gezielt durchzuführen. Sie fängt hundert Dinge an, läßt alles liegen, kommt in Streß und das war´s dann.
Ich kann mir nicht vorstellen daß man sie zu einem Gespräch mit einem Therapeuten kriegen könnte, das würde sie als Quatsch abtun, außerdem hat sie ja keine Zeit. Und es gibt ja auch kein ProblemEine Selbsthilfegruppe wäre auch nichts, da sie ja nicht einsieht daß man etwas ändern muß.
Gibt es gute Bücher oder Videos? Ich möchte sie ja nicht damit quälen sich mit ihrem Problem auseinanderzusetzen, aber sie muß erkennen daß es eines ist! Und vor allem daß es Hilfe gibt!!!

Dieser Beitrag ist doch um einiges länger geworden als gedacht, aber ich schreibe mir hier gerade zum ersten Mal im Leben diesen riesigen Klotz von der Seele. Dieses Forum hat mir Mut gemacht, doch nochmal zu kämpfen.
Ich freue mich über jede Rückmeldung von Euch, eigene Erfahrungsberichte oder Tipps. Zum Beispiel, wie bringt man sowas seinem Partner bei???

Es tut gut zu wissen daß dieses Problem nicht so einmalig ist. Das hätte ich als Kind wissen müssen, ich war oft total verzweifelt.

So, das wars jetzt erst mal mit meinem Roman. Weitere Fragen beantworte ich gerne.
Ich danke für Eure Aufmerksamkeit und auch für alle Antworten und Ratschläge!

Gruss Mario


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