Re: Fly-Lady im Allgemeinen: Was motiviert euch? (Allgemein)

Schlumpfine, Mittwoch, 05.08.2015, 21:40 (vor 3391 Tagen) @ ChaosQueen

> Was motiviert euch etwas wirklich zu verändern? Sanftes Auffangen und "Abholen", oder der Tritt in den Allerwertesten?

Danke, dass du gefragt, hast, liebe ChaosQueen!

Bei mir ist es ganz klar gefühlter "Druck von außen" - der in Wirklichkeit natürlich auch aus mir selbst kommt.
Termine (wie z.B. zur Abgabe der Steuererklärung), Familienfeiern (3 x im Jahr) oder Handwerkerbesuche (in diesem Jahr haben sich SpüMa, WaMa und Trockner je eine Reparatur gegönnt) veranlassen mich regelmäßig, neben den Alltagsroutinen Zusatzaufgaben zu bewältigen. Tatsächlich verursachen diese Ereignisse ja keinen wirklichen "Druck von außen", sondern ich selbst entscheide mich immer wieder, bestimmte ungeliebte Aktivitäten erst dann in Angriff zu nehmen, wenn sie in meiner persönlichen Wahrnehmung unaufschiebbar geworden sind.

Mir ist wichtig, im Job 100% zu geben, da von meinem Einkommen drei Menschen leben und Altschulden aus der ruinösen Ehe und der nicht minder ruinösen Scheidung gezahlt werden müssen.

Ich könnte auch in Frührente gehen und Privatinsolvenz anmelden. Das will ich nicht.

Mir ist wichtig, dass die Kinder und ich gesund bleiben, uns zuhause wohlfühlen und jederzeit Besuch empfangen können.

Ich könnte auch vorwiegend Fast-Food bzw. Fertiggerichte servieren, das Geld für Sport- und Schwimmverein, Bücher und Freizeitaktivitäten sparen und Diele, Gäste-WC, Wohnzimmer, Küche, Treppenhaus und Kinderzimmer zuerst King Chaos überlassen und anschließend Besucher unter fadenscheinigen Vorwänden abwimmeln. Das will ich nicht (mehr).

Seit ich als Hardcore-Messie vor Jahren den Weg in dieses Forum gefunden und die ersten Anfänge mit Celestines "Spiel" geschafft habe, sehe ich den Kampf gegen King Chaos eher sportlich und genieße meine robuste Grundordnung nach Celestines Vorbild unter seinen Alltags-Guerilla Attacken. Dank Celestines "Spiel" sind die Alltags-Scharmützel für mich persönlich weniger schmerzhaft und kränkend geworden.

Als Kind und junge Erwachsene habe ich allen Ernstes geglaubt, dass Unordnung nur deshalb entsteht, weil mit mir etwas nicht stimmt. Wäre ich nicht so ein schlechtes, böses, ungehorsames Kind, wäre unser Familienleben nicht in Schmutz und Unordnung, Feindseligkeit und Gewalt versunken. Was für eine verf*uchte, kranke Schei*e!!!

Heute glaube ich, dass Schmutz und Unordnung laufend entstehen, wo Menschen (sowie ggf. Pflanzen und Tiere) Räume regelmäßig nutzen.
Sauberkeit und Ordnung sind in belebten Räumen kein statischer Zustand, sondern sondern mehr oder weniger energieaufwändige Prozesse.

Meine heutige Sicht auf Ordnung und Sauberkeit und deren Rolle in unserem Leben ist diese:
Pflanzen, Tiere und Menschen haben Bedürfnisse, die regelmäßig befriedigt werden müssen, um diese gesund und lebendig zu erhalten.
Aus einem leeren Brunnen kann niemand schöpfen.
Oder um es mit Dan Casriel zu sagen: "I am - I need - I'm entitled!"

Geschirr, Besteck, Kleidung, Wäsche, Handtücher, Bettwäsche werden in einem Haushalt, wie ich ihn kenne, ständig benutzt.
Getränke, Nahrung, Körperpflegemittel, Reinigungsmittel etc. werden laufend ge- und verbraucht, eingekauft und entsorgt.
Staub und Schmutz wird stetig von draußen herein geweht und getragen.
Geld fließt mehr oder weniger regelmäßig zu und ab.
Papiere kommen täglich mit der Post ins Haus.

Daraus folgt logischerweise, dass Dinge, die regelmäßig gebraucht werden, ebenso regelmäßig Arbeit verlangen.
Das entstehen von Schmutz und Unordnung im Umfeld von Lebewesen halte ich für ebenso unvermeidlich wie das Werden und Vergehen in der Natur. Wie ein- und ausatmen, essen und defäkieren, trinken, schwitzen und urinieren, gezeugt werden, leben, sterben und verwesen. Wie Sonnenauf- und Untergänge, Ebbe und Flut, Jahreszeiten und Mondphasen. Es gibt nichts, was ich tun könnte, um diese Phänomene zu unterbinden. Ich kann mich nur deren Gesetzmäßigkeiten anpassen und diese ggf. sogar nutzen.

Wenn ich früh aufstehe und unser Bad ist sauber und aufgeräumt, sieht es anders aus, wenn dort drei Menschen die Toilette benutzt, geduscht und ihre Zähne geputzt haben.
Wenn Küche und Esszimmer sauber und aufgeräumt sind, sieht das nach jeder Mahlzeit anders aus.
Wenn drei Menschen täglich saubere Wäsche, Kleidung und Handtücher brauchen, müssen Waschmaschine, Trockner und Bügeleisen regelmäßig genutzt werden.
Saubere, trockene Wäsche, Kleidung, Handtücher, Tischdecken und Bettwäsche müssen vor Gebrauch regelmäßig repariert und/oder aussortiert und/oder ersetzt werden. Besonders, wenn ein Kind im Haus ist, dass noch wächst und regelmäßig Löcher in Pullovern, Jacken und Hosen, defekte Reißverschlüsse und verlorene Knöpfe produziert.
Wenn drei Menschen jede Nacht erholsam schlafen wollen, müssen Miete, Heizung, Wasser, Strom und andere Rechnungen regelmäßig bezahlt und Betten regelmäßig bezogen werden.
Einkäufe müssen sachgerecht verstaut, Müll muss regelmäßig entsorgt werden. Glatte Flächen müssen regelmäßig trocken abgefegt bzw. abgestaubt sowie feucht gewischt, Teppiche und Läufer gesaugt, Fenster und Sanitäranlagen geputzt werden.

Wo ein Kind und ggf. dessen Freunde spielen wollen, muss Spielzeug hinreichend sortiert sein und Spielflächen müssen am Boden, an Tischen und/oder im Freien verfügbar sein.
Ein Schulkind benötigt Unterstützung bei den Hausaufgaben - und sei es nur in Form eines sinnvoll strukturierten, gut beleuchteten und ruhigen Arbeitsplatzes und ausreichend, Stiften, Heften und Büchern. Persönliche Zuwendung und Interesse an dem, was in der Schule gerade dran ist, schadet den meisten Kindern auch nicht
Keine der dafür notwendigen Arbeiten macht sich von allein. Nirgendwo. In keinem Haushalt dieser Erde.

Wo ein Elternteil allein für die Betreuung und Erziehung von Kindern, das Erwirtschaften der notwendigen Einnahmen, das Managen der Ausgaben und die notwendigen Haushaltsarbeiten zuständig ist, müssen knappe Ressourcen (emotional, zeitlich, materiell und finanziell) anders eingesetzt werden, als in einem Rentnerhaushalt, einer 2-Eltern-Familie unter einem Dach, einer WG mit mehr oder weniger jungen Erwachsenen, einem Single-Haushalt, bei einem kinderlosen Paar oder in einem Haushalt mit pflegebedürftigen und/oder alten und/oder kranken Angehörigen.

Ein kleines Einkommen und eine kleine Wohnung stellt die verantwortlichen Erwachsenen vor andere Herausforderungen, als ein mittleres oder großes Einkommen und eine große Wohnung -oder mehr als eine Unterkunft. Ein Haushalt mit Garten und/oder Tieren verlangt andere Arbeitsabläufe als eine Etagenwohnung mit Hausmeisterservice. Wer als Künstler, Unternehmer oder Freiberufler unregelmäßige Einnahmen erzielt, muss anders planen und wirtschaften, als Lohn- und Gehaltsempfänger, Arbeitslose oder Rentner.

Die jeweiligen Anforderungen sind so unterschiedlich, wie die persönlichen Ansprüche, Fähigkeiten und Kenntnisse der jeweiligen Bewohner eines Haushalts.

Die FLY-Lady wiederholt mit großer Ausdauer, dass jeder nur sein jeweils eigenes Verhalten und die eigenen Gedanken und Gefühle kontrollieren und ändern kann und dass es unverzichtbar sei, sich selbst und die Menschen im eigenen Haushalt gleichermaßen zu lieben und zu respektieren.

Ähnlich - nur weniger pathetisch - bringt es Kornelia Wassersteiner in ihren verschiedenen Büchlein auf den Punkt.

Je klarer ich unterscheiden gelernt habe zwischen Dingen, für die ich selbst verantwortlich bin und solchen, die nicht meinem Einfluss unterliegen, desto leichter fällt mir die Organisation meines Alltag - beruflich und privat. Je weiter mine Einsicht gereift ist, dass ich viele Dinge zwar selbst im Auge behalten und verantworten muss, aber längst nicht alles dafür Notwendige allein schaffen muss, desto spürbar entspannter bin ich geworden.

Das Zusammenleben mit einem Ehemann, der jede Form von Hilfeleistung durch Dritte entweder als Angriff ("Du glaubst wohl, ich kann das nicht!" "Das geht keinen Fremden etwas an!" "Das Geld können wir uns sparen!") oder als Eingeständnis eigener Nutzlosigkeit aufgefasst und zugleich sein Ego mit seiner Verachtung und Entwertung seiner Mitmenschen genährt hat, hat mich in meiner inneren Entwicklung (die als Kind aus einem Messie-Haushalt eh schon gestört war) um Jahre zurück geworfen.

Perfektionismus und dessen dunkles Spiegelbild Entwertung scheue ich mittlerweile ebenso wie Selbstüberschätzung und Überforderung.

Ich tue, was ich kann. Mehr kann keiner tun.

Die Folgen meines Tuns und Lassens (!!!) muss ich selbst verantworten. (Er-)Tragen müssen oder genießen dürfen diese Folgen oft auch andere.

Wenn mir die Suppe anbrennt, müssen die Kinder den Gestank ebenso ertragen wie ich selbst.
Wenn ich am Monatsende kein Geld mehr auf meinem Konto habe, müssen sie sich ebenso einschränken wie ich selbst.
Wenn ich beim Autofahren unachtsam bin, laufen die Insassen meines Fahrzeugs ebenso Gefahr, verletzt zu werden, wie ich selbst - und wie unbeteiligte Passanten.
Wenn ich am Erfolg der Firma meines Arbeitgebers mitarbeite und eine Gehaltserhöhung bekomme, profitieren davon nicht nur meine Kinder, sondern auch die Kollegen, die nach mir eingestellt wurden, weil mehr Umsatz auch mehr Arbeit bedeutet.

Je besser mein Gefühl dafür wird, was mir gut tut, was mir Freude macht, was mir leicht fällt und was mich gesund erhält, desto leichter fällt es mir, Krempel zu entsorgen, "Andenken" (schlimme und erfreuliche) loszulassen und meinen Alltag zu erleichtern.

Die FLY-Lady mit ihrem Beharren auf Selbstliebe und Selbstverantwortung hat mich ebenso weiter gebracht, wie Celestine, Byron Katie, Marshall B. Rosenberg und George Rynick.
Erfahrungsgemäß helfen mir Einfühlung, Respekt und Anerkennung (für mich selbst und für andere Mitgeschöpfe) eher weiter, als Entwertung, Scham und Feindseligkeit.

GlG [image] Schlumpfine


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