Re: Antwort und Erklärung (Angehörige)

Monella, Mittwoch, 17.11.2010, 17:08 (vor 4921 Tagen) @ Violine

Hallo Violine!

Ich bin neu in diesem Forum und bin zufällig darauf gestossen, weil ich verzweifelt bin und das Gefühl habe, so nicht mehr weiter leben zu können.

Ich bin Ehefrau eines "Papiermessies". Als ich ihn vor 26 Jahren kennengelernt habe, wußte ich noch nichts über das Phänomen "Messie". Er war frisch getrennt, wohnte weit weg, und ich bin nie in seiner Wohnung gewesen. Immer kam er am Wochenende zu mir zu Besuch. Nach 3 Jahren zogen wir zusammen und als ich sein Umzugsgut sah und die vielen Bücherkisten, gefüllt mit Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, da schwante mir nichts Gutes.

Seitdem sind wir 3 x umgezogen, immer benötigten wir eine größere Wohnung bzw. ein größeres Haus und immer glaubte ich meinem Mann, daß sein Chaos besser würde, sobald er mehr Platz für mehr Regale und Stellmöglichkeiten habe. Ich glaubte seinen Beteuerungen, nach der Pensionierung würde alles besser. Dann war er pensioniert, aber noch immer hat er angeblich keine Zeit zum Aufräumen. Er sitzt den ganzen Tag und liest und liest und liest
Heute weiß ich, daß ein Messie um so mehr sammelt, je mehr Platz und Aufbewahrungsmöglichkeiten er hat. Inzwischen haben wir ein Haus mit 240 qm Wohnfläche und fast das gesamte Souterrain (50qm), die Einliegerwohnung (53 qm))und ein weiteres Zimmer (12qm) sind so voll mit Papier, Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, Katalogen, Fernsehprogrammen, daß man die Räume kaum begehen kann. Was ich aber durchsetzen konnte ist, daß alle gemeinsam bewohnten Räume weitgehend müllfrei bleiben.

Es war sehr tröstlich für mich, Deinen letzten Beitrag zu lesen und wenn ich nicht sicher wäre, daß er von Dir stammt, würde ich glauben, es sei ein Beitrag von mir. Genau so, wie Du die Reaktionen Deines Mannes beschreibst, reagiert auch mein Mann. Endlich mal jemand, der das gleiche "Schicksal" erlebt wie ich, endlich jemand, der nachvollziehen kann, wie sehr ich als Angehörige leide (Schlafstörungen mit zunehmendem Alter, depressive Gedanken aus Verzweiflung).

Mein Mann weigert sich, die Bücher von Sandra Fulton auch nur wenigstens mal anzusehen, die ich ihm zum Problem "Messie" gekauft habe. Er glaubt, das Problem liege bei mir. Er empfiehlt mir, eine Psychotherapie zu machen, denn ich sei "wegwerfkrank". Wenn ich bei meinem Mann eine Quittung finde, weil er vor 36 Jahren für seinen damaligen Hund ein Medikament in der Apotheke gekauft hat und er sich dann darüber aufregt, daß ich ihm empfehle, so einen Zettel wegzuwerfen, dann bin ich "wegwerfkrank"!

Mein Mann ist sehr gebildet, er liest unheimlich viel, er hat studiert, einen Uni-Abschluß mit Prädikat, er hält sein Auto pico-bello sauber, auch er selbst duscht täglich und pflegt sich. Er hat sich in einem unserer Zimmer eine Bibliothek eingerichtet, Hunderte von Büchern nach Themen sortiert, ordentlich Rücken neben Rücken, aber in jedem Buch stecken ausgerissene Seiten von Zeitungen, die zu den jeweiligen Themen passen. Er hat alle seine Bücher im Kopf und würde das Fehlen eines einziges Buches sofort merken. Und so ein kluger und gebildeter Mensch schafft es nicht, ein Stück Papier wegzuwerfen, das schon fast 40 Jahre alt ist? Oder Zeitungen, Fernsehprogramme und Versandkataloge, die nach über 20 Jahren nicht mehr aktuell sind? Er schafft es auf Urlaubsreisen nicht, Touristeninfos oder Infomaterial in Kirchen liegen zu lassen und nicht in mehrfacher Ausfertigung mitzunehmen? Am Ende einer Urlaubsreise ist unser Wohnmobil gefüllt mit Papier, Prospekten, Zeitungen, auch wenn mein Mann die Sachen mangels Sprachkenntnissen garnicht lesen kann.

Da wir bereits in fortgeschrittenem Alter sind, denke ich an später und an unsere Kinder, die einmal diesen Müll entsorgen müssen. Manchmal ertappe ich mich dabei, daß ich mir wünsche, eines Tages meinen Mann zu überleben. Dann könnte ich noch aufräumen und entsorgen und müsste mich nicht schämen, daß ich es nicht geschafft habe, dieses Chaos zu vermeiden.

Niemand in unserer Familie, in unserem Freundeskreis, in unserer Nachbarschaft, in unserem Bekanntenkreis hat Verständnis für meinen Mann. Jeder ist einfach sprachlos, wenn er sein Chaos mal zu Gesicht bekommt. Und ich? Ich verteidige ihn dann auch noch, denn - so seltsam es klingt - ich liebe ihn trotzdem. Aber ich gehe an diesem Problem früher oder später kaputt.

Ich brauche Trost und Zuspruch!

Liebe Grüße

"Monella"


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