Glykämischer Index - Zweifel am zuckerfreien Glyck... ((M)Essies)

krimhild, Donnerstag, 16.12.2004, 17:10 (vor 7081 Tagen)

Nochmal ein Märchen beseitigt *ggg*, aber wer sich mit Glyx endlich mal mit mehr Obst und Gemüse und komplexen Kohlenhydraten ernährt, der nimmt natürlich ab und fühlt sich besser. Ist halt immer die Frage, was [image] und wieviel [image] man vorher gegessen hat
Grüßle
Krimhild


Der glykämische Index

Was ist dran an der "GLYX"-Diät?

Der "glykämische Index" (GI) ist heute in aller Munde und findige Leute, die der Ernährungslehre des Herrn Montignac, der weder Ernährungswissenschaftler noch Ernährungsmediziner ist, einen neuen Namen geben wollten, haben daraus den attraktiv klingenden Begriff der "Glyx"-Diät geprägt.

Wenn man heute populärwissenschaftliche Zeitschriften liest, bekommt man den Eindruck, etwas falsch zu machen, ja sogar seiner Gesundheit zu schaden, wenn man seine Ernährung nicht nach dem GI richtet.

Neben dem immer noch beworbenen Buch Montignacs treten in Österreich vermeintliche Ernährungsexperten wie die "Professoren" Hademar Bankhofer und Wolfgang Peer als Fürsprecher der "richtigen" und Verdammer der "falschen" Kohlenhydrate medial in Erscheinung. Auch ein Mediziner, der Grazer Radiologe Wolfgang Kopp ist auf diesen Zug aufgesprungen und will ebenso wie der bekannte deutsche Ernährungswissenschaftler Nicolai Worm (Stichwort "LOGI" = low GI) glauben machen, dass die Ursache der Entstehung von Übergewicht durch die Zufuhr von "falschen" Kohlenhydraten, sprich Zucker und Nahrungsmittel mit hohem GI (wie Kartoffeln, Reis usw.), bedingt ist, weil der postprandiale ( = nach Nahrungsaufhnahme) Anstieg des Insulinspiegels im Blut als Antwort auf den Blutzuckeranstieg zur Speicherung von Körperfett führen soll.

Aber hält die "Glyx"-Diät das, was sie verspricht bzw. ihre Fürsprecher behaupten? Nämlich durch die Zufuhr von Kohlenhydraten mit niedrigem GI erstens weniger Hungergefühl zu haben und zweitens die Entstehung von Übergewicht vermeiden zu können? Um es vorweg zu nehmen - nein.

Was ist eigentlich der glykämische Index?

Er ist ein Maß für die Blutzuckerreaktion, sprich den Anstieg der Blutglucose ("Blutzuckerspiegel") nach dem Verzehr eines kohlenhydrathältigen Nahrungsmittels. Je höher dieser Index, um so steiler ist der Anstieg des postprandialen Blutzuckerspiegels. In der Regel wird Glucose (=Traubenzucker) der Referenzwert 100 zugeordnet. Manche Indizes beziehen sich auf Weißbrot als Referenzwert, was die mitunter etwas unterschiedlichen GI-Angaben für das gleiche Nahrungsmittel erklärt.

Bei komplexen Lebensmitteln entscheidet die Nährstoffzusammensetzung im weiteren bzw. die Magenentleerungsgeschwindigkeit im engeren Sinne über den GI. Nimmt man Kohlenhydrate zusammen mit Ballaststoffen (z.B. Vollkornprodukte), Eiweiß (z.B. gezuckerte Milch) oder Fett (z.B. Schokolade) auf, dann fällt die Blutzuckerantwort langsamer aus, als wenn man isolierte Kohlenhydrate zu sich nimmt, weil sich der Magen langsamer entleert.

Wie eingangs bereits erwähnt, gibt es Ansätze in der Ernährungsberatung, die den GI für den Körperfettanteil verantwortlich machen. Das wird durch die postprandiale Insulinausschüttung begründet, die wiederum die Lipolyse (= Spaltung von Fetten) hemmt (und damit indirekt die Fettspeicherung fördert).

Physiologisch gesehen ist das aber Unsinn, weil hier die Energiebilanz außer Acht gelassen wird. Demnach müsste Schokolade, die durch ihren hohen Fettgehalt einen relativ niedrigen GI, aber dafür einen hohen Energiegehalt von über 500kcal pro 100 Gramm aufweist, zum Abnehmen günstiger sein als Weißbrot. Ist dies glaubhaft?
Sicher nicht; darüber hinaus sinkt der hohe GI von Weißbrot, sobald es mit einer Scheibe Schinken belegt wird. Beim stoffwechselgesunden Menschen steigt der Blutzuckerspiegel nach einer kohlenhydrathältigen Mahlzeit - und sei sie noch so reichhaltig - unabhängig vom GI nie über ein bestimmtes Maß an.

Außerdem ist die Insulinantwort im Anschluss an eine kohlenhydratreiche Mahlzeit nicht nur völlig normal, sondern auch notwendig (um Glucose und Aminosäuren in die Körperzellen zu schleusen) und hat mit einem langfristigen Auf- und Abbau von Körperfett nichts zu tun. Letztere Vorgänge sind einzig und allein eine Frage der Energiebilanz.
Diese - und nicht das Insulin - ist das Kriterium, das über das "Schicksal" unseres Körperfettanteils entscheidet. Die Energiebilanz stellt sozusagen das Fließgleichgewicht zwischen dem Auf- und Abbau von Neutralfetten im Fettgewebe ein.

Insulin ist das anabole Hormon der Bauchspeicheldrüse. Es hemmt die Lipolyse (neben seinen weiteren Wirkungen wie die Förderung der Aufnahme von Glucose in die Körperzellen, die Förderung der Glykogensynthese in Muskulatur und Leber sowie die Förderung der Aufnahme von Aminosäuren in die Zellen). Die Lipolyse (Spaltung der Triglyceride = Neutralfette in Glycerin und freie Fettsäuren) wird auch bei einem vorübergehenden postprandialen Anstieg des Insulinspiegels nie vollständig unterdrückt. Außerdem heißt eine Hemmung der Lipolyse nicht, dass damit auch die Betaoxidation ("Fettverbrennung") in den Mitochondrien der Zellen unterdrückt wird. Dieser Denkfehler wird aber immer wieder begangen.

Wer gesund und nicht übergewichtig ist und somit keine Hyperinsulinämie bzw. Insulinresistenz aufweist, kann also den GI ruhigen Gewissens ignorieren. Als Sportler sollte man ihn im Auge behalten, wenn man vor einem Wettkampf oder Training noch etwas isst. Da wäre es weniger empfehlenswert, eine Mahlzeit mit niedrigem GI und damit verbundenem hohen Fett- oder Ballaststoffgehalt zu verspeisen. Auch unmittelbar nach dem Sport ist die Zufuhr von Kohlenhydraten mit hohem GI, vorzugsweise Zucker, empfehlenswert, um ein rasches Wiederauffüllen der entleerten muskulären Glykogenspeicher einzuleiten.

Man darf also dem GI keine so große Bedeutung beimessen, wie es derzeit geschieht. Abgesehen davon muss man differenzieren, ob es sich um einen Normalgewichtigen mit normaler Glucosetoleranz (normaler Blutzuckeranstieg nach Glucose- bzw. Kohlenhydratzufuhr) oder um einen Übergewichtigen bzw. Adipösen mit gestörter Glucosetoleranz (übermäßiger BZ-Anstieg) aufgrund einer Insulinresistenz handelt (metabolisches Syndrom).

In letzterem Fall, vor allem, wenn bereits ein NIDDM (nicht insulinabhängiger Diabetes mellitus = Typ 2-Diabetes mellitus, früher "Altersdiabetes" genannt) vorliegt, kann es zweckmäßig sein, sich kohlenhydratbewusst zu ernähren, um den postprandialen Blutzuckerspiegel nicht zu hoch ansteigen zu lassen. Dabei muss man aufpassen, dass man sich nicht zu fett- und damit energiereich ernährt, wenn man zu sehr den GI im Auge behält, denn das würde wiederum eine positive Energiebilanz begünstigen bzw. eine negative Energiebilanz und damit eine Reduktion des Körperfettanteils als kausalen Therapieansatz des metabolischen Syndroms verhindern.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der von den "Glyx"-Anhängern, die das Insulin zum "Sündenbock" in Sachen Übergewicht stempeln, nicht bedacht wird: Der Anstieg des Insulinspiegels im Blut im Rahmen einer Mahlzeit hängt nicht nur von den zugeführten Kohlenhydraten, sondern auch Fetten und Proteinen ab. Die Insulin"antwort" hängt also nicht nur mit dem GI, sondern auch mit dem Energiegehalt der zugeführten Mahlzeit zusammen.


Zusammenfassung:

Man darf nicht den Fehler machen, wie Montignac zu argumentieren, indem man die Thermodynamik und damit die Energiebilanz als letztlich entscheidendes Kriterium für die Entstehung von Übergewicht ignoriert. Kein Makronährstoff macht per se dick, auch nicht das Insulin, sondern einzig und allein eine positive Energiebilanz!

Es ist geradezu grotesk, Kartoffeln als "Dickmacher" hinzustellen. Die Irrationalität gipfelt in der Behauptung, nicht die Zufuhr von zuviel Kalorien, sondern die Zufuhr von "falschen" Kohlenhydraten wäre via das "böse" Insulin Schuld an der Entstehung von Übergewicht.

Insulin ist aber kein "Feind" des Körpers. Es hemmt nicht die Betaoxidation ("Fettverbrennung") als vorrangigen Modus der Energiebereitstellung. Die Insulininkretion wird nicht nur durch Zufuhr von Kohlenhydraten, sondern auch von Proteinen und Fetten stimuliert. Das Ausmaß der postprandialen "Insulinantwort" korreliert somit nicht nur mit dem glykämischen Index, sondern auch mit dem Energiegehalt der zugeführten Mahlzeit.

Wer sich nur nach einem niedrigen GI orientiert, läuft Gefahr, sich zu fettreich und damit zu energiereich zu ernähren, was wiederum eine positive Energiebilanz und damit eine Speicherung von "neuem" Fettgewebe begünstigt.

Der vorübergehende postprandiale Insulinanstieg im Blut, der die Lipolyse kurzfristig hemmt, hat mit einem Hyperinsulinismus nichts zu tun. Der Insulinspiegel im Blut korreliert vielmehr mit dem Körperfettanteil, eine Hyperinsulinämie ist Folge und nicht Ursache der Adipositas. Es ist die Energiebilanz, die das Fließgleichgewicht zwischen Lipogenese und Lipolyse im Fettgewebe einstellt und damit über den Körperfettanteil entscheidet.
Das gilt für jedermann, auch für Adipöse mit Hyperinsulinämie bzw. Insulinresistenz.

Auch die teilweise so eindrucksvoll dicken Amerikaner sind nicht deswegen so dick geworden sind, weil sie zuviel Kohlenhydrate mit hohem GI, sondern weil sie zuviel Energie zugeführt haben - auf gut Deutsch, zuviel gegessen haben. Und darüber hinaus - ein ganz mitentscheidender Grund für eine positive Energiebilanz - ihren Energieumsatz durch körperliche Inaktivität heruntergeschraubt haben.

Bei allem Verständnis für den GI im Rahmen einer kohlenhydratbewussten Ernährung beim metabolischen Syndrom - wer die Ursache des Übergewichts nur in den "falschen" Kohlenhydraten sieht, verkennt die Realität.


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