Re: Gefangener im eigenen Haus (Angehörige)

H., Freitag, 18.08.2006, 22:34 (vor 6471 Tagen) @ Marvin

Hallo Marvin,

es freut mich, dass Du vielen unterschiedlichen Meinungen und Argumenten gegenüber offen bist. Dein Posting läßt mich schon eine ganze Weile nicht in Ruhe. Wahrscheinlich, weil es viele eigene Punkte berührt.

Wie gesagt, ich war während der Kleinkinderphase berufstätig, und zwar selbständige Kauffrau. Als Babies hatte ich sie immer bei mir, auch im Büro (hab sie gut ein Jahr lang gestillt). Später waren meine Kinder bei einer Tagesmutter, bzw. im Kindergarten. Ich weiß, dass viele Menschen ihre Kinder nicht "aus der Hand" geben möchten. Im nachhinein gesehen (meine Kinder sind fast erwachsen) finde ich die Lösung immer noch gut. Die Tagesmutter hatte nämlich im Gegensatz zu uns einen makellosen Haushalt. Die Kinder haben dort gut Ordnung gelernt. Aber es gab dort z.B. keine Haustiere, die für uns unbedingt zum Leben gehören. Auch unsere Erziehungsgrundsätze stimmten nicht vollständig überein. Aber wir haben die unterschiedlichen Sichtweisen und Lebensarten gegenseitig respektiert, und wir haben bis heute - nach beinahe 15 Jahren - immer noch ein gutes Verhältnis zueinander.

Ab dem Schulalter waren die Kinder nicht mehr außerhäusig untergebracht. In der Zeit habe ich meine Bürostunden so gelegt, dass ich eine lange Mittagspause hatte und erst später wieder zur Arbeit ging. Meist kam dann schon mein Mann zurück. Mein Ältester welchselte dann auf ein Gymnasium mit Tagesheim. Dort bekam er Mittagessen und es wurden die Hausaufgaben erledigt. Um 16 Uhr war er dann wieder zurück.

Als mein jüngster 7 Jahre alt war, musste ich mein Büro aufgeben. Ich dachte auch, es wäre ganz gut, jetzt mal einen "ordentlichen" Haushalt zu bekommen. Aber für diese Art von Arbeit bin ich einfach nicht geschaffen. Klar kann ich aufräumen, kochen, putzen etc. Aber das ist doch kein Lebensinhalt! Zumindest für mich war es das nicht. Ich wurde immer depressiver und auch irgendwie "bösartig". Das geht wohl jedem so, der nur noch die Arbeit machen soll, die er am wenigsten kann und mag.

Nun ja, dieser Lebensabschnitt dauerte fünf Jahre. Jahre voller Depressionen und Enttäuschungen, und zwar bei meinem Mann und mir. Mein Mann konnte mit der klassischen Arbeitsteilung gut leben, mir ging es dabei miserabel. Und auch für die Kinder sah ich eher Nachteile als Vorteile. Sie fanden es so selbstverständlich, dass Mama immer da war, dass sie alles in Ordnung brachte, worunter ihre eigene Selbständigkeit sehr litt. Hatten sie als Kleine oftmals selbst kochen und backen wollen, so sah sich plötzlich der 13jährige nicht mehr im Stande, Nudeln zu kochen. Offensichtlich waren sie der Meinung, wenn Mama schon daheim ist, kann sie auch alles machen.

Irgendwann war das Mass voll. Unsere Ehe war nicht mehr zu retten. Ich musste und wollte auch wieder arbeiten. Wenn man ganz von vorne anfangen muss, kann man erst mal nicht wählerisch sein. Ich suchte nach einer machbaren Lösung. Und die hieß in unserem Fall: Ich machte den Taxischein. Fortan fuhr ich 3 x wöchentlich, von morgens um 6 Uhr bis 16 Uhr. Meine Kinder haben sich schnell umgewöhnt und finden es z.Z. eher cool, dass ich nicht mehr den ganzen Tag um sie rum bin. Seit kurzem mache ich noch eine Ausbildung nebenher, da ich natürlich nicht mein ganzes Leben bis zur Rente fahren möchte. Uns geht es wieder ganz gut. Und der Haushalt läuft seitdem - obwohl weniger Zeit zur Verfügung steht - erstaunlicher Weise auch besser.

Wenn ich früher den Mut gehabt hätte, mir und anderen gegenüber einzugestehen, dass ich keine Hausfrau bin, dass Hausarbeit zwar nötig ist, aber eben nur bedingt von mir getan werden muss, dann wäre vielleicht auch meine Ehe zu retten gewesen, d.h., wenn auch mein Mann das hätte akzeptieren können. Mein Mann hat mir auch immer andere Frauen, die den Haushalt mühelos bewältigen, vorgehalten. Wäre mir bewußt gewesen, was ich alles "mit links" erledigt habe, was andere nicht können, dann wäre manches anders gelaufen. So haben wir uns, auch weil wir nicht ausführlich darüber gesprochen haben, auseinander gelebt.

Lieber Marvin, wenn Dir an Deiner Familie etwas liegt, dann setze Deine Frau nicht unter Druck. Hier ist nicht Durchsetzungsvermögen gefragt, sondern Einfühlungsvermögen. Sicherlich läßt sie ihren Schmuck nicht herumliegen, um Dich zu ärgern. Und sicher mißbilligt sie auch, wenn die Kinder die Türen verkratzen. Aber offenbar sind ihr eben die Kinder wichtiger als die Dinge. Ich erkenne da meine eigenen Verhaltensweisen. Wenn mein Mann losschimpfte, dann fühlte ich mich so unter Druck, dass ich gar nicht "normal" reagieren konnte. Ein gesundes Mittelmaß, eine Atmosphäre, die allen gut tut, gelingt nur, wenn man sich respektiert. Ich wünsche Euch, dass Ihr das schafft.

H.


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