Re: ... kann ich sowas nicht als etwas Besonderes einordnen. (Allgemein)

Schlumpfine, Freitag, 06.05.2011, 08:38 (vor 4747 Tagen) @ Buchling

>das ist eine Form des Messieseins unter der ich selbst leide. Ich schreibe mir auf, daß ich essen sollte, daß ich mir mein Bett beziehen sollte.... Es ist für mich kein Problem es für andere Menschen zu erledigen - aber ich bin mir selbst nichts wert. Ich mache sowas um nach außen zu funktionieren.

Liebe Buchling,
hier triffst du meinen Messie-Nagel auf den Kopf.
Danke für die prägnante Kurzfassung.
Und selbst das "nach außen Funktionieren" hat für mich persönlich immer wieder Fallstricke, die mich scheinbar triviale Alltagsverrichtungen aus meiner persönlichen Sicht als kaum zu überwindende Hindernisse wahrnehmen lassen.

Wolframs Bemerkung über

"...>>die, die hier tägl. schreiben, dass sie frühstücken, Wama, einkaufen u.s.w. machen. das macht fast jeder Mensch und darum kann ich sowas nicht als etwas Besonderes einordnen."

ist eine Formulierung, durch die ich mich persönlich angeprangert und angegriffen sah.

Ich gerate sehr leicht unter Rechtfertigungsdruck, wenn ein Vorwurf von außen zugleich meine inneren Selbstvorwürfe verstärkt.

Sätze wie "das macht fast jeder Mensch" und "das ist doch nichts Besonderes" sind Kerninventar meiner Selbstvorwürfe, die ich in Wolframs Satz wirksam verstärkt fand.

Wenn in unserem Haushalt, der extrem dysfunktionale Phasen durchlaufen hat, jetzt eine robuste, stabile funktionale Ordnung hält, mag das von außen betrachtet selbstverständlich sein.
Weil für Außenstehende unvollstellbar ist, was aus unserem Drei- bis Vierpersonenhaushalt geworden ist, als niemand das getan hat, was "fast jeder Mensch macht".
Weil ich unter diesen Phasen und Zuständen sowohl als Kind in meiner Herkunftsfamilie und noch mehr als unfähige, verantwortungslose Mutter in meiner jetzigen Familie ganz furchtbar gelitten habe.

Es fällt mir schwer, zu sagen und zu schreiben:
"Nein, das ist eben nicht selbstverständlich" und
"Ja, ich bin stolz darauf, mir durch das tägliche Einerlei jetzt nicht mehr die Lebensfreude und Zuversicht rauben zu lassen. Auch und gerade weil noch nicht alles so ist, wie andere es für selbstverständlich halten. Für mich persönlich ist es eine Leistung, mich durch Mini-Mini-Fortschritte und/oder Rückschritte nicht entmutigen zu lassen."

>Gleichzeitig werfe ich dagegen relativ leicht alte Sachen in die große Grube.

Mir fällt es auch nicht schwer, Dinge zu entsorgen.
Wenn sie klein und handlich genug sind, dass ich sie selbst und alleine aus dem Haus bekomme.

Aber ich finde es sehr schwierig, mir Unterstützung zu holen bei Arbeiten, die ich aus eigener Kraft nicht mehr alleine schaffe. Weil mich die Vorstellung runterzieht, dass fast alle anderen Menschen solche unspektakulären, alltäglichen Dinge doch auch ohne Hilfe schaffen.

Wenn ich mich selbst und meinen Alltag so abwerte, fühle ich mich unzulänglich und beschämt und bin in meinem Denken und Handeln blockiert.

So steht bei uns z. B. seit fast zwei Jahren ein Wickeltisch herum, den keiner mehr braucht, weil mein Jüngster (5) schon lange sauber ist. Ich schaffe es nicht, das Ding aus dem Haus zu bekommen. Körperlich bin ich zu schwach. Emotional, sozial und kognitiv schaffe ich es nicht, mir die passende Unterstützung zu holen.

Ich wäre glücklich, wenn das Ding endlich weg wäre. Die Vorstellung, im Kinderzimmer nicht mehr um dieses Riesenteil herum wirtschaften zu müssen, macht mir kein bischen Angst. Ganz im Gegenteil. Aber die Vorstellung, in das viel zu volle, viel zu unordentliche Zimmer Helfer zu holen, die das Sch...teil endlich wegschaffen, lähmt mich.

Diese innere Haltung ist für einen Sammelmessie vermutlich hart am Rande des Unvorstellbaren.
So wie ich mir nicht vorstellen kann, selbst an meinem alten Krempel innerlich zu hängen.
Ich habe eher die Phantasie, dass das Zeug an mir hängt. Wie Bleigewichte, die mein Denken und Handeln lähmen.

Ich hänge innerlich an der Vorstellung, wie es bei uns aussehen sollte. Wie es mir gefallen würde.

Ein großer, schwerer, leer geräumter Wickeltisch im Kinderzimmer eines Vorschulkindes passt nicht zu dieser Vorstellung. Gaaanz viiieeele andere Dinge, die ich derzeit noch nicht ersetzt habe,
- weil sie groß, schwer und sperrig sind,
- weil ich kein Geld habe, sie zu ersetzen oder
- weil ich nicht die Zeit, die Kraft und den Mut habe, einen kostengünstigen Austausch mit Hilfe von hilfsbereiten Menschen zu organisieren,
passen auch nicht dazu.

Sodass das Gesamtbild unseres realen Haushalts im Vergleich zu meinen Vorstellungen, wie es mir hier gefallen könnte, eine lähmende und niederdrückende Wirkung auf mein Gemüt hat.

Unter diesem lähmenden Einfluss ist es für mich ein Triumph,
dennoch täglich für die Kinder, deren Besucher und mich selbst und meine Gäste
- Nahrung und Getränke,
- saubere Kleidung, Wäsche und Handtücher,
- nutzbare Bäder und Betten,
- freie Füßböden und Tische (zum Essen, Spielen und Arbeiten)
- sowie einen begehbaren, bespielbaren Garten mit Terrasse
bereitzustellen.

Meist sogar zur rechten Zeit, so wie es gebraucht wird.

Und ich finde das erwähnenswert.

Auch und gerade weil es sehr viele Menschen gibt, die sich nicht vorstellen können, dass das, was ihnen selbst täglich leicht von der Hand zu gehen scheint, für mich und unseren Haushalt ganz und gar nicht selbstverständlich ist.

>Ja, es ist eine sehr einseitige Sicht das nur unter dem Blickpunkt des Sammelmessies mit zu wenig Platz zu sehen.
[quote]Buchling
[/quote]

Danke, liebe Buchling, dass du mir aus dem "Ich bin wunderlich, unzulänglich und meine trivialen Alltagsbeiträge passen nicht hierher"-Schmollwinkel, in den ich mich vor Wolframs "Ist doch nix besonderes, was du machst. Warum langweilst du uns damit?"-Vorwurf zurückziehen wollte, wieder herausgeholfen hast.

Danke auch, dass du kurz gezeigt hast, dass es dich noch gibt.
[image] Ich freue mich immer über ein Lebenszeichen von dir.

GlG Schlumpfine


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