Re: Extremfall?! (Angehörige)

Harry, Freitag, 30.05.2003, 22:30 (vor 7637 Tagen) @ Al Bundy

Hallo Al.

Ich kann dir zu deinem speziellen Fall keine richtigen Tips geben sondern nur aus meinen eigenen Erfahrungen berichten. Als erstes solltest du dir abgewöhnen dich zu schämen. Du bist ja eigentlich nicht der Messie, sondern deine Mutter und auch die hat keinen Grund sich zu schämen, da sie es auch nicht freiwillig macht. Wäre ja noch schöner, dann müsste sich ja jeder Krebskranke für seine Krankheit schämen.

Bei mir war der Fall ähnlich. Mein Vater hat sein Haus mit Baumaterialien von Holz bis Ziegeln und Stahl und allen anderen möglichen und unmöglichen Dingen zugestapelt. Er war zwar keiner dieser spektakulären Fälle, von denen man oft in den Medien liest, die stinkenden Müll oder Abfall in der Wohnung gehortet hätten, aber ums Haus herum hat es auch nicht gerade schön ausgesehen.

Irgendwann war er der Gemeinde ein Dorn im Auge und sie haben dann das Grundstück zwangsgeräumt. Diese Zwangsräumung war illegal(weil keine Gefahr für die Umwelt herrschte usw.) und die Gemeinde mußte die Prozesskosten dann auch selber tragen. Bei der zweiten Zwangsräumung hat sie dann schon etwas besser aufgepasst, aber diesmal kam es zu keinem gerichtlichen Nachspiel mehr, da mein Vater ein paar Stunden nach der Räumung an einem Herzinfarkt (er war 61 Nichtraucher und mässiger Trinker) verstorben ist. Er reagierte vollkommen panisch und hat es nicht mehr verkraftet sich von seinen gesammelten Dingen zu trennen. Eigentlich auch typisch für einen Messie.

Also bei Räumungen (auch mit Freunden) würde ich diesbezüglich besonders aufpassen. Ganz besonders wenn du schreibst, das deine Mutter dazu auch noch anderweitig krank ist. Das könnte schwerwiegende Folgen haben

Ich als Erbe des Hauses muß nun die Räumungskosten von Euro 25.000 berappen und hatte selbst noch Kosten von etwa 10.000 Euro um den ganzen restlichen Krempel wegzuräumen. Ich habe der Gemeinde erklärt, sie können mir das Geld irgendwann mal aus meinen kalten steifen Fingern brechen, da ich nicht die Kosten für ihr kurzsichtiges Handeln übernehme. Naja die haben die Schulden dann eben kurzerhand aufs Grundbuch eingetragen. Gegen die Gemeinde hat man ohnehin kaum eine Chanche. Ich bin heute noch der Meinung, das man meinen Vater behandeln und nicht zwangsräumen hätte sollen, da man nicht die Ursache sondern nur die Wirkung beseitigt hat. Schon bei der ersten Räumung hätte auffallen müssen, das es sich dabei nicht um einen sturen Bock, sondern um einen schwer kranken Menschen handelt. Mir war bekannt das er krank war und ich habe ihm auch oft eine Therapie vorgeschlagen aber er war einer von diesen Ich-mache-nie-Fehler-nur-die-Anderen und damit waren alle seine eigenen Probleme vom Tisch. Ich bin dann nach Amsterdam gezogen und mein Vater hat mir logischerweise nie von seinem neuerlichen Verfahren und der drohenden Räumung berichtet und bin dann auch aus allen Wolken gefallen, als ich von der Zwangsräumung und von seinem Tod erfahren habe. (Zumindest hätte sich die Behörde mit mir in Verbindung setzen können)

Tja. Es lässt sich jetzt ohnehin nicht mehr ändern. Ich lebe jetzt in dem Haus und dachte auch schon an Abriss, aber da ich dort aufgewachsen bin und die Renovierungskosten mich auch nicht auffressen, habe ich mich fürs behalten entschieden. Aber da liegt die Entscheidung klar bei dir. Das ist eine einfache Kosten- Nutzenrechnung und darüber würde ich mir erst Gedanken machen, wenn es soweit ist.

Bei meiner Großmutter (väterlicherseits) war es ähnlich. Sie hatte das ganze Haus mit Bonbonpapieren und Schachteln und allerlei anderem unnützen Tingeltangel vollgeräumt. Bei ihr hat man sich noch darauf heraus geredet, das sie zwei Kriege mitgemacht hat und daher diese Sammelwut entwickelt habe. Ich bin noch heute davon überzeugt, das es ein typisches Messiesyndrom war, welches man aber zur damaligen Zeit eben noch nicht kannte. Früher hat man solche Menschen als faul und schlampig bezeichnet und nicht weiter darüber nachgedacht.

Bei mir war es dann nach dem Tod meines Vaters fast umgekehrt. Ich habe nichts mehr aufbewahrt und selbst alte Kindheitserinnerungen landeten auf den Müll. Eigentlich auch schon zwanghaft nur eben in die andere Richtung, da ich immer fest daran geglaubt habe, das diese Krankheit vererbt werden kann (Mittlerweile denke ich nicht das es die Krankheit ist, sondern das man unbewusst, die Verhaltensweisen der Eltern annimmt. (Kann das vielleicht der Grund sein, das du in einer eher spartanischen Wohnung lebst ?) Mittlerweile habe ich mich aber auch wieder eingeklinkt und hoffe das es auch so bleiben wird. Bin wieder schlampig wie jeder Andere. Auch diesbezüglich würde ich mir keine grossen Gedanken machen, wenn du nur aufräumst wenn jemand zu Besuch kommt. Schlimm wirds erst wenn du gar nix mehr wegwirfst und die Fliegen in der Wohnung herumkurven.

Das mit dem Singledasein ist auch so eine Sache. Bei meinem Eltern ist mir aufgefallen, das eigentlich nie eine richtige Beziehung vorhanden war und man sucht dann meist eine Art Liebesersatz. Die Einen fangen an zu saufen und die anderen sammeln eben alles was ihnen in die Finger kommt. Ich glaube in einer funktionierenden Beziehung wird es eher schwer sein ein Messie zu werden. (Ist aber nur meine persönliche Meinung, bin kein Psychologe).

Im Großen und Ganzen kann ich nur sagen, das deine Mutter zur Einsicht gelangen muß. Hast du ihr schon eine Therapie vorgeschlagen ? Nachdem sie ja offenbar selber weiß, das sie unter Zwang handelt, wäre das vielleicht ein vernünftiger Schritt. Ansonsten sehe ich nicht viel Hoffnung, das du persönlich irgendetwas an ihrem Zustand ändern könntest. Ein Alkoholiker wird auch kaum mit dem Saufen aufhören, wenn er dazu gezwungen wird. Ich glaube das ist die erste Priorität. Ich würde auch nicht zuviel darüber nachdenken, was irgendwann mal sein wird, sondern mich nur auf dieses eine wichtige Ziel konzentrieren. So eine Phase habe ich auch schon durchgemacht und man macht sich dann plötzlich Gedanken über Dinge, die ohnehin niemals eintreten werden.

Mit Selbsthilfegruppen kann ich leider nicht dienen. Ich lebe in Österreich und in den Kaff in dem ich lebe, gelten Messies immer noch als schlampig und faul. Und da liegt auch der Hund begraben. Viele trauen sich gar nicht über ihre Krankheit zu sprechen und gründen schon gar keine Selbsthilfegruppen. Ich habe zwar unserem Bezirkshauptmann ein Buch über Messies geschickt und er hat es auch gelesen und sogar zurückgebracht, aber irgendwie scheint der nicht ganz überissen zu haben, wo das eigentliche Problem eines Messies liegt. Jedenfals sind Zwangsräumungen der falsche Weg und die sollte man wirklich nur bei hygienischen Beeinträchtigungen machen.

So long. Ich wünsch dir jedenfalls viel Glück

Harry


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