Re: Rückfall - geordnetes Chaos von krimhild an Schlumpfine ((M)Essies)

krimhild, Montag, 03.01.2005, 14:07 (vor 7063 Tagen) @ Schlumpfine

Liebe Schlumpfine,

Wie gesagt, ich habe keine klare Erklärung, noch weniger eine einfache Lösung für Dich - lediglich Denk-An-sätze dazu, die ich versuche, zu ordnen.
Ich war lange eßgestört, erst bulimisch, dann binge-eater bzw. (fr-)eßsüchtig. Vor zwei Jahren bekam ich die ADS-Diagnose.

Mir half u.a. sehr, daß mir klar wurde, als ADSlerin immer wieder auf der Suche nach dem Kick, nach Stimulation, zu sein, weil ich mich erst so "richtig" spüren konnte. Aber auch das Gegenteilige traf zu: Essen als Schutz vor Reizüberflutung. Ich habe meine ADS damals offenbar wesentlich mit Essen therapiert. Das Wissen um meine ADS-Veranlagung hat mich meine Abhängigkeiten (auch ich bin alkoholgefährdet *wink´zu den schon "Geouteten"*, jahrelang die halbe bis 3/4 Flasche Wein am Abend, manchmal mehr, scheint häufig bei ADSlern zu sein! Habe inzwischen auch damit aufgehört, im Zuge der Diagnose)in einem neuen Licht sehen lassen.

Was mir im Moment fehlt, ist die Fähigkeit des Wollen-Könnens. Hast Du als ADS-Frau auf dem Weg der Genesung und Selbstakzeptanz diesbezüglich Erfahrungen gemacht, die mir aus dieser Zwickmühle helfen können?

Oje, wie drücke ich es denn nun aus, die Sache mit dem Wollen-können?

Vielleicht so: mir wurde klar, dass mein Willen zwar da ist, aber seine Verfolgung immer wieder Grenzen in der ADS hat.
Für mich heißt das, ich muss mir eine oder mehrere "äußere Sicherungen" einbauen, um meine Ziele zu erreichen. Und immer wieder daran denken, dass mein Abrutschen ins Chaos, wenn ich nicht aufpasse, vorprogrammiert ist.
Konkret: im Beruf brauche ich klare Vorgaben, Pläne, um immer wieder den Blick auf die Prioritäten werfen zu können (und nicht plötzlich festzustellen, dass ich mich im Unwesentlichen verloren habe, weil es gerade sooo spannend war, noch weiterzulesen usw.).

Essen: Der OA-Ansatz hat mir geholfen, diese Art "Commitment" auf 3 (bei mir 4 [image]) Mahlzeiten. Damit bin ich einen Schritt von den ständigen süchtigen Zwangsgedanken weggekommen. Aber das allein reichte nicht aus.

Hilfreich war für mich auch zu merken, dass ich stark dazu neige, mein Leben um ein Problem zu organisieren. Mein Schwerpunkt im Leben war jahrelang meine Eßabhängigkeit - diese Problem ging ich jeden Tag von neuem an, viele andere Dinge mußten warten, weil ich zu "beschäftigt" war, mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Hier befand ich mich auf sicherem Terrain, in diesem Problem kannte ich mich aus, während ich mir da beim Rest meines Lebens nicht so sicher war... Ich mochte meine ES vielleicht deshalb auch lange nicht aufgeben, denn worum sollte ich mir dann Sorgen machen, was hätte mein inneres und äußeres Chaos strukturiert?

Ich kämpfe um sauberes Essen - und verliere diesen Kampf wieder und wieder.

Wenn ich das höre, kommt die alte Verzeiflung wieder in mir hoch. Damals wollte ich genau das unbedingt auch: perfektes sauberes Essen, wie ein "trockener" Alkoholiker. Ich bin wieder und wieder gescheitert, habe jedes Scheitern mit Essen kompensiert, jeder Fall war gefühlsmäßig "tiefer" als der davor. Allein die Vorstellung, ein Leben lang ohne "x" und ohne "y" leben zu müssen, reichte, um meinen Rückfall auszuweiten.
Aber auch das ADS, das mich immer wieder feststellen ließ, plötzlich und ohne es zu merken (ehrlich!), mal wieder gegessen zu haben. So aß ich z.B. so nebenbei eine ganze Familienpackung und bemerkte es erst, als die Verpackung leer neben mir lag. Sättigung? Gar nicht wahrgenommen, war zu beschäftigt mit der "Haupttätigkeit" des Lesens.

Die ADS-Diagnose führte dazu, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Ich habe begonnen, "besser" zu mir zu sein, mich nicht länger für alle wirklichen und eingebildeten Unzulänglichkeiten zu bestrafen.
So begann ich auch, besser zu essen, habe mich gefreut, wenn ich freiwillig mehr Obst und Gemüse aß, weil ich es plötzlich mochte, nicht nur "musste", um im Plan zu bleiben. Die Lust auf Süßigkeiten nahmen in dem Maße ab, in dem ich neue Lebensmittel entdeckte, die ich mochte, obwohl sie "gesund" waren.

Bewußtheit gehörte auch dazu, die erfahrende Feststellung, dass Zucker mal ein Gewürz war, und dass Marzipan z.B. einfach nur seeeeehr süüüüß ist und der Wunsch nach Süßem mit immer weniger davon zu befriedigen ist. Aber ganz sicher auch das Ende der Verbote, Süßes zu essen, perfekt sein zu müssen.

Anderseits sehe ich mich völlig außerstande, den körperlichen Entzug bis zu Ende durchzustehen. Heute mittag war es wieder so weit: Vor lauter Kopfschmerzen wusste ich nicht mehr ein noch aus. Mir war schwindelig und übel, ich war hochgradig licht-, lärm- und geruchsempfindlich und konnte kaum aus den Augen gucken.

Entzug: bei mir gab / gibt es diese Symptome auch, allerdings sind sie nicht auf Zucker / Weißmehl beschränkt, sondern erschienen dann, wenn ich nach einer längeren Phase der Völlerei plötzlich kalorisch viel weniger aß. Könnte vielleicht, da Du nach Deiner Schilderung im Rückfall nicht nur viel Zucker, sondern insbesondere viel Fett zu Dir nimmst, auch eine Reaktion der Leber / Bauchspeicheldrüse sein?
Könntest Du für Dich (allein vom Gefühl her) einen langsamen Übergang zur "besseren Selbstbehandlung" akzeptieren? Oder ist das Gefühl, entweder ich entziehe sofort und total oder ich MUSS wieder Zucker / Weißmehl usw. essen, übermächtig? Glaubst Du, nur mit 100%iger Abstinenz geht es weiter?

Ich habe weder die Kraft noch die Ruhe und derzeit auch keineN UnterstützerIn IRL greifbar.

Wie wichtig bist Du für Dich? Wie gut geht es Deinen Lieben, wenn es Dir nicht gut geht? Wie verändert Dich Dein Rückfall im Umgang mit anderen?
Fragen, die keine Posting-Antwort erwarten, sondern nur Deine ganz persönliche Antwort...
Ich kann Dir anbieten, am Tage immer wieder in Mailbriefkasten und/oder Forum zu schauen (DSL-Flatrate macht´s möglich!), wenn Du möchtest.
Wie auch immer Du Dich entscheidest, ob Totalentzug oder langsame Veränderung, biete ich Dir meine Hilfe an.
Ich bin zwar nicht perfekt und werd´s nicht mehr werden, aber vielleicht hilft´s ja trotzdem weiter?

Du bist wichtig jetzt.
Sei für Dich da, o.k.? [[

Lieben Gruß
krimhild


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